Frankreich. (Mai 3—7.) 271
ein reactionäres Cabinet berufen möchte. Jules Simon und seine
Collegen haben jedoch dem Drängen des Elysoe nachgegeben und
dem Marschall das Versprechen gegeben, daß das Budget in dieser
Sesfion erledigt werden solle. Es bleibt freilich fraglich, ob sie es
in der Kammer auch durchsetzen werden.
3.—4. Mai. Abg.-Kammer: Debatte über die Interpellation
Leblond bez. der clericalen Umtriebe.
Leblond schildert dieselben einläßlich und verlangt gegen sie die
unnachsichtige Anwendung der Gesetze. Der Ministerpräfident Jules
Simon widerlegt die Klagen und Beschwerden der Clericalen und constatirt
ihre Uebergriffe. Ihre Behauptungen von der angeblichen Gefangenschaft des
Papstes bezeichnet er als „Uebertreibungen“ (exngrations), um nicht zu
sagen vügen. Gambetta- sucht nachzuweisen, daß die ultramontane Partei
keine religibse, sondern vielmehr eine entschieden politische Partei sei: sie sei,
abgesehen von den Massen, deren naive Haltung ausgebeutet werde, eine
Goalition dynastischer und clericaler Einflüusse und der Staat werde unter
laske der Religion von Partei-Interessen angegriffen und es seien die
Nefugies im Senat und der Kammer, Männer der alten Kampfes-Regierung,
welche die Bewegung leiteten und den Einfluß der Geistlichkeit ausnutzten
und weßhalb er strenge Auesführung des Concordats und der organischen Ge-
sete verlange. Namens der Ultramontanen spricht nur Graf Mun, aber um
so heftiger und herausfordernder.
Mit der gewaltigen Moajorität von 361 gegen 121 Stimmen
wird die von den Führern der drei Linken vereinbarte Tagesordnung,
die die Regierung ihrerseits acceptirt, angenommen: „Die Kammer,
in Erwägung, daß das Wiederaufflammen der Kundgebungen der
Ultramontanen eine Gefahr für den inneren und äußeren Frieden ist,
fordert die Regierung auf, die gesetzlichen Mittel, über die sie ver-
fügt, in Anwendung zu bringen, und geht zur Tagesordnung über.“
Die clericale Partei ist über diesen Ausgang der Interpellation außer-
ordentlich niedergeschlagen und gesteht selbst, daß die Niederlage eine furchtbare
sei, aber zugleich ist sie über den Ministerpräsidenten auf's Heftigste erbittert,
daß er es gewagt habe, den Papst einer Lüge zu zeihen. Die Elericalen des
Senats geben es jedoch nunmehr auf, die Frage auch im Senat, wie sie be-
reits beschlossen hatten, zur Sprache zu bringen, um nicht die Niederlage zu
einer noch ärgeren zu machen, namentlich dem Ministerpräsidenten nicht Ge-
legenheit zu noch schärferen Auslassungen zu geben.
6. Mai. In St. Malo, in der katholischen Bretagne, wo die
Royalisten noch großen Einfluß haben, fällt eine Nachwahl zur Ab-
geordnetenkammer mit einer in jener Gegend für unmöglich gehal-
tenen Stimmenmehrheit zu Gunsten des liberalen und republikani-
schen Candidaten aus.
7.— 15. Mai. Abg.-Kammer: Berathung eines neuen Ge-
meindegesetzes in liberalem Sinne. Dasselbe geht nunmehr an den
Senat.