Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

Auß- 
land. 
450 Neberscht der polilischen Eutwielung des Jahres 1877. 
zegowina, Vosnien und Bulgarien wieder zur Sprache brachte und 
seinen Botschafter dahin instruirte, daß er nicht ernst genug die 
Dringlichkeit der Situation der Pforte gegenüber betonen könne. 
Seine Bemühungen in Konstantinopel wurden von den anderen 
Mächlen angelegentlich unterstützt. Alle waren dabei doch ohne 
Zweifel in Wahrheit davon überzeugt, daß mit schönen Worten und 
weisen Lehren so wenig als mit leeren Drohungen bei der Pforte 
etwas ausgerichtet werden könne, zumal jetzt, da sie den bulgarischen 
Aufstand unterdrückt und die serbische Schilderhebung überwältigt 
hatte. Aber nur Rußland war entschlossen, es bei bloßen Worten 
nicht bewenden zu lassen, sondern zu Thaten überzugehen, sobald der 
geeignete Moment dazu gekommen sein würde. Kaiser Alexander 
hatte sich nach Livadia in der Krim begeben und dort seine bedeu- 
tendsten Staatsmänner um sich versammelt; auch Deutschland, Eng- 
land und Oesterreich wiesen ihre Botschafter in St. Petersburg an, 
sich dahin zu begeben: man fühlte allgemein, daß der russische Kaiser 
im Vegriffe sei, seine definiliven Entschlüsse zu fassen. Dort gab er 
dem englischen Botschafter zu Handen seiner Regierung die bestimmte 
Zusicherung, daß er nicht die Absicht habe, Konstantinopel zu be- 
setzen und daß er „der Pforte gegenüber überhaupt an keinerlei Er- 
oberungen denke“, wenn er auch genöthigt sein könnte, die Bulgarei 
„vorläufig“ zu beseben. Gleichzeitig unterhandelten die Mächte unter 
sich und durch ihre Botschafter in Konstantinopel, wie den gegrün- 
deten Beschwerden und den gerechten Forderungen Rußlands gegen- 
über der Türkei ein Genüge geschehen könnte, damit Rußland der 
Grund oder Vorwand abgeschnitten werde, zum Schwerte zu greifen. 
England schlug eine Conferenz in Konstantinopel vor unter Zu- 
ziiehung der Pforte und schließlich vereinigten sich alle darüber, 
wobei jedoch Rußland von vorneherein Garantieen dafür verlangte, 
daß das von der Conferenz Beschlossene dann auch von der Pforte 
wirklich ausgeführt werde. England erklärte der Pforte seinerseits 
sehr bestimmt, daß die Conferenz das einzige Mittel sei, den Frieden 
zu erhalten und einen Angriff Rußlands von ihr abzuwenden. Man 
verständigte sich auch darüber, daß der eigentlichen Conferenz Vor- 
conferenzen ohne Zuziehung der Pforte vorhergehen sollten. Am 
5. November 1876 verließ Kaiser Alexander Livadia wieder, um 
über Moskau nach St. Petersburg zurückzukehren, und nun ballte 
Enalon sich die Krisis rasch zusammen. Am 9. November hielt Beaconsfield 
Naßland (Disraeli), der englische Premier, am Lordmajorsbankett zu London
	        
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