Neberücht der politisches Entwikelung bes Jahres 1877. 457
die ohne Noth einen Krieg wagen darf, das vielmehr alle Ursache
hatte, einen Krieg wo immer möglich zu vermeiden, zumal es auf
eine Unterstützung Deutschlands gegen Rußland nicht rechnen konnte,
ja nicht einmal einer wohlwollenden Neutralität von Seite desselben
ganz sicher war. Nun war allerdings für den Augenblick ein bloßes
Zuwarten unter Vorbehalt das sicherste und bequemste: es verlangte
keinerlei Wagniß, keinerlei Opfer. Allein es handelte sich um ein
Lebensinteresse Oesterreichs: die „öfterreichischen Interessen“, von denen
die österreichische Regierung so viel sprach, ohne sie jemals zu defi-
niren, bestanden einfach darin, daß die beiden herrschenden Nationa-
litäten, die deutsche und die magyarische, nicht zugeben können, daß
das slavische Element gestärkt werde, nicht einmal innerhalb seiner
Grenzen, geschweige denn außerhalb derselben. Das aber war die
ausgesprochene Absicht Rußlands und mußte in dieser oder jener
Form die geradezu unausweichliche Folge eines Krieges Rußlands
mit der Türkei sein und Oesterreich stand von dem Augenblicke an,
da alle Hoffnung, die Pfortenregierung zu den erforderlichen Refor-
men moralisch zu zwingen, d. h. sie zu einer andern zu machen, als
die sie war und bleiben wollte, geschwunden war, vor der Alterna-
tive, entweder die Folgen eines russisch-türkischen Krieges Über sich
ergehen zu lassen, wie es nunmehr der Fall ist, oder, wenn es die
Integrität der Pforte als unerläßlich nothwendig für seine Inter-
essen erkennt, sich trotz aller Bedenken mit derselben gegen Rußland
zu alliiren, da es von vorneherein klar war, daß sie allein und
ohne Allüurten schließlich nothwendig werde unterliegen müssen. Es
mag wiederholt werden, daß ein Krieg überhaupt und speciell eine
Allianz Oesterreichs mit dem verrotteten Regiment der Pforte für
Oesterreich im äußersten Grade bedenklich waren, aber es ist nicht
abzusehen, wie es anders der Gefahr, das slavische Element in seiner
Nachbarschaft für die Zukunft mächtig gestärkt und seine ganze Stel-
lung nach Osten mit allen ihren politischen und materiellen Interessen
im äußersten Grade bedroht zu sehen, entgehen mochte. Es konnte sich
aus allerdings zum Theil schwer wiegenden Gründen nicht dazu ent-
schließen: die Folge davon war der Vertrag von San Stefano, den es
für ganz und gar unannehmbar erklärt, und dem es sich im Wesent-
lichen doch wird unterziehen müssen, wofern nicht ein europäischer
Krieg darüber ausbricht. Nicht in gleicher, aber doch in ähnlicherongland.
Lage war in dem entscheidenden Momente, d. h. zu Ende des Jahres
1876 und zu Anfang des Jahres 1877, England. Auch England