Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder, (Febr. 28.) 57 
die gesammten Geldbewilligungen einschließlich der Einräumung des 
Besteurungsrechtes davon abhängig zu machen, daß die Landessynode folgende 
Zusammensetzung erhalte: 1) drei Superintendenten, 2) zwei vom Landesherrn 
zu ernennende weltliche Mitglieder, 3) sechs durch die Klassenversammlungen 
zu wählende Prediger, 4) zehn durch die Klassenversammlungen zu wählende 
Laien, wovon fünf den zeitigen Kirchenvorstehern oder deren Stellvertretern 
in der wählenden Klasse angehören müssen, die übrigen fünf ohne diese Be- 
schränkung aus den kirchlich wählbaren Mitgliedern der ganzen evangelischen 
Landeskirche genommen werden können. Der Regierungspräsident Eschenburg 
erklärt, daß diese Bedingung unannehmbar sei und die ganze Vorlage in 
Frage stelle. 
28. Februar. (Deutsches Reich.) Der Präsident des Reichs- 
eisenbahnamtes v. Maybach wird auf sein Ansuchen entlassen und zum 
Unterstaatssekretär im preußischen Handelsministerium ernannt. 
28. Februar. (Deutsches Reich.) Bundesrath: erklärt mit 
30 gegen 28 Stimmen, welche auf Berlin fallen, Leipzig zum Sitz 
des Reichsgerichtes. Preußen wird also mit 1 Stimme überstimmt. 
Für Leipzig stimmen zunächst Sachsen und die thüringischen Staaten, 
ferner Bayern, Württemberg. beide Mecklenburg, Oldenburg, Braun- 
schweig, Lippe und Reuß ältere Linie; für Berlin Preußen, Baden, 
Hessen, die Hansestädte, Reuß jüngere Linie und Waldeck. 
28. Februar. (Preußen.) Abg.-Haus: dritte Lesung des 
Budgets für 1877, Cultusetat: der Culturkampf nimmt zum Schlusse 
noch eine unvermuthete Wendung: 
Der clericale Abg. Cremer (früher Redacteur der „Germania“, der 
den gemäßigteren Mitgliedern seiner Partei gehört und sich bisher von 
dem diesmaligen oratorischen Kampfe zurückgehalten hatte), ergreift gegen Ende 
der dritten Lesung des Etats das Wort, um auch seinerseits die unerträgliche 
Lage der preußischen Katholiken zu constatiren, gleichzeitig aber zur Versöh- 
nung aus patriotischen Motiven zu ermahnen. Der Mehrheit und der Re- 
gierung ruft er zu: „Kehren Sie um, es ist noch Zeit! Glauben Sie mir, 
es können Krisen für den preußischen Staat eintreten, in denen er auf die 
Sympathie von 8 Millionen Katholiken nicht verzichten kann, und in denen 
Sie es uns danken werden, wenn wir treu und fest auf dem Posten stehen, 
auf dem wir immer gestanden haben; deßhalb möchte ich dringend bitten, daß 
alle diejenigen, welche es gut mit bem Staate meinen, sich endlich die Hand 
reichen, um zu einer Verständigung zu gelangen. Ich verlange nicht von 
Ihnen, daß Sie gerade nach Canossa gehen sollen; vielleicht gelingt es uns, 
irgendeinen Punkt anzugeben, der Ihnen geograpyisch bequemer liegt; aber 
zur Umkehr muß geschritten werden, und je eher dies geschieht, desto besser. 
Ich möchte, daß der Staat, dem wir alle angehören, nicht durch inneren 
Kampf zerstört werde; es sind nach dem Ausspruch einer Autorität noch 50 
Jahre nöthig, um das zu vertheidigen, was in 10 Jahren erobert worden. 
Wir wollen in allen äußeren Dingen bis zur äußersten Grenze des Nachgebens 
gehen, aber machen Sie nicht, daß man sagen muß: Im 19. Jahrhundert ist 
es den Katholiken unmöglich geworden, im preußischen Staate zu existiren!“ 
(Beifall im Centrum.) Dieser Appell veranlaßt den bisher im Culturkampfe 
schweigsam gebliebenen Abg. Lasker, aus seiner Reserve hervorzutreten und
	        
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