Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 28 —. März 2.) 59
die zwingende Pflicht derjenigen, die das organisirte Volk zu führen und zu
schützen haben, solche bedeutende Mächte im Auge zu behalten und gegen den
Mißbrauch solcher Mächte die absoluten nothwendigen Schranken aufzubauen.
(Sehr wahr!) M. H.H.! Sie stellen an die Regierung die Forderung; sie
solle Ihnen mit Revisionsvorschlägen kommen. Sie wollen ja aber gar keine
Revision, Sie wollen eine Beseitigung des Ganzen. Der Vorredner sprach ja
ausdrücklich davon, daß wegen der Complication und der Tendenz der ein-
zelnen Bestimmungen man den ganzen Gesetzen in ihrer Totalität Widerstand
leisten wolle, und ist dies nicht noch gestern in den denkbar schönsten Aus-
drücken von dem Abgeordneten v. Schorlemer gesagt worden? Wie würde es
aufgefaßt werden, wenn ein solcher Schritt von Seiten des Ministeriums ge-
schähe Würden Sie (zum Centrum) nicht alle sagen: Nun, Gott sei Dank,
die Regierung ist auf dem Rückmarsch! Und würde daraus nicht Ihr Wunsch
und Ihr Ruf hervorwachsen: nun wollen wir aber alles dasjenige durchsetzen,
was wir überhaupt wollen. (Sehr wahr! links.) Wenn Sie vielleicht unter
dem Eindruck einer milden Strömung, die auch zu meiner besonderen Be-
friedigung durch dieses Haus gegangen ist, einige solche nach dem Frieden
schmeckende Reden halten, so wird doch die Regierung nicht eher zu einer
solchen Maßregel schreiten, als bis sie andere, unter anderen Umständen ge-
wonnene und in anderer Weise zeugende Beweise dafür gehabt hat, daß eben
mit Beseitigung einiger Härten und Uebelstände dem ganzen bitterlichen Kampf
eine Ende gemacht werden könne. (Sehr richtig!) Solange die Ueberzeugung
vorhanden ist, daß das nicht der Fall ist, werden Sie nicht darauf rechnen,
daß der Wunsch des Abg. Schröder erfüllt werde. (Lebhafter Beifall links,
Zischen im Centrum.) Auch der Abg. Birchow tritt, gegenüber den senti-
mentalen“ Anwandlungen Lasker's, für die Nothwendigreit des Kampfes gegen
die Herrschaftsansprüche der katholischen Kirche ein.
Dritte Lesung des Gesetzentwurfs betr. die Leipzig-Dresdener
Bahn: der entscheidende § 1 wird mit 193 gegen 191, das ganze
Gesetz mit 186 gegen 165 Stimmen angenommen.
26. Februar. (Hessen.) Bischof Ketteler von Mainz geräth
mit den kirchenpolitischen Gesetzen Hessens und Preußens mehr und
mehr in Collision.
Der von ihm angewandte passive Widerstand" hält auf die Dauer
nicht vor. Zu welchen Mitteln er aber greift, um in den preußischen Theilen
seiner Diöcese gegen die Maigesetze zu operiren, zeigt die Anordnung der
Wiedereinführung des Pfarrers Hungari in die Pfarrerei Rodelheim (früher
hessisch. jetzt preußisch). Dieser, wegen eines öffentlichen, in der Kirche ver-
übten Vergehens gegen die Sittlichkeit angeklagt und verurtheilt, von seiner
eigenen erbitterten Gemeinde denuncirt, wird nun nach verbüßter mehrmonat-
licher Gefängnißstrafe wieder hingesetzt, weil es dem Bischof nicht einfällt,
sich den Gesetzen zu fügen, und er in Folge dessen nicht im Stande ist, einem
anderen als dem vor der Verkündigung der Gesetze angestellt gewesenen Pfarrer
die Pfarrei zu übertragen. „Besser als durch dieses Verfahren, bei welchem
die Rücksicht auf die Sittlichkeit der Gemeinde und das Beispiel des Seel-
sorgers gar nicht in Erwägung kam, kann das ultramontane Unwesen kaum
dargethan werden.“ In Hessen wird Kelteler vom Bezirksgerichte Mainz
wegen gesetzwidriger Pastoration zweier Gemeinden zu Geldstrafen von je
500 Mark oder 2 Monate Gefängniß für jeden der beiden Fälle verurtheilt.
2. März. (Preußen.) Herrenhaus: genehmigt das Budget für
1877 mit allen gegen 2 Stimmen unter Beifügung von 2 Resolutionen: