Das deuische Reich und seine rinfelurs Glieder. (März 10.) 69
beruf hatte, Reichsgedanken, Neichspolitik zu vertreten. Die anderen Herren
hatten ihr Ressort, und wenn es hoch kam, die preußischen Interessen amtlich
zu vertreten, womit ich nicht sagen will, daß sie nicht in ihrem Herzen deutsche
Patrioten waren; aber der deutsche Beamte, dem geht die Gewissenhaftigkeit
über das Herz, und er treibt das, was seines Amtes ist und worauf er ge-
schworen hat, zuerst, und wenn's Herz dabei auch bricht, das national ge-
sinnte, ohne sich daran zu kehren, und nach unseren Gewohnheiten würde da
ein anderes Ressort sehr viel Schaden leiden, wenn es einen eigenen Minister
hat. Aber auch das Neich ist für einen Minister, der nur ein preußischer ist
— ich spreche immer nur von Preußen, weil mir das Niemand übelnehmen
kann, da ich selbst dazu gehöre; ich könnte auch von Anderen sprechen (Heiter-
keit), aber es würde mir da geiagt werden: Kritisiren Sie sich selbst erst und
fangen Sie bei sich erst an, dergleichen zu tadeln, ehe Sie auf uns Andere
übergehen. Nehmen Sie das nicht so streng, als wenn ich Preußen allein
anklagen wollte. (Heiterkeit.) Ich fühle mich nur nach meiner preußischen
Höflichkeitspflicht berechtigt, gegen die eigene Familie etwas
gröber aufzutreten wie gegen die weiteren Vettern, aber ganz gewiß ist
nach meiner Ueberzeugung, daß ich den Haupteinfluß, den es mir gegönnt ist
zu üben, bisher nicht in der kaiserlichen, sondern in der königlich preußischen
Macht gefunden habe. Ich habe versucht, ich habe eine Zeit lang auf-
gehört, preußischer Ministerpräsident zu sein, und habe mir gedacht.
daß ich als Reichskanzler stark genug sei. Ich habe mich darin
vollständig geirrt; nach einem Jahre bin ich reuevoll wiedergekommen,
und ich habe gesagt: Entweder will ich ganz abgehen, oder ich will im
preußischen Ministerium das Präsidium wieder haben. Das ist auch ganz
richtig, aber es genügt nicht. Ich bin die einzige Person darin, und der
Beweis gegen die Theorie der Reichsministerien liegt schon darin. Aber
schneiden Sie mir die preußische Wurzel ab und machen Sie mi
allein zum Reichsminister, so glaube ich, bin ich so einflußlos
wie ein Anderer. Es ist ja verführerisch, sich ein Reichsministerium zu
denken, das in den Grenzen der Versassung und mit der Verantwortlichkeit
waltet, wie ein Ministerium im Einzelstaate; aber Sie täuschen sich über die
Verwicklung, die das nimmt. Die Macht der Stammeseinheit, der Strom
des Particularismus ist bei uns immer sehr stark geblieben; er
hat seit Eintritt der ruhigen Zeiten an Stärke gewonnen. J
kann sagen, die Reichsfluth ist rücksteigend; wic gehen einer Ar
von Ebbe entgegen. Ich weiß nicht, ob ich es tadeln soll, oder ob es
ein gesunder, naturgemäßer Vorgang ist. Es wird auch die Reichsfluth wieder
steigen. Man muß nur nicht annehmen, daß in drei Jahren oder selbst in
zehn Jahren alle diese Sachen fertig gemacht werden können. Ueberlassen
ie unseren Kindern auch noch eine Aufgabe. Sie könnten sich sonst lang-
weilen in der Welt, wenn gar nichts mehr für sie zu thun ist. (Heiterkeit.)
Man muß nur darin einer natürlichen, nationalen, organischen Entwicklung
auch Zeit lassen, sich auszubilden, und nicht ungeduldig werden, wenn sie
Stagnationen, ja selbst rückläufige Bewegung hat, und darf denen, welche
diese rückläufige Bewegung verursachen, das nicht gewissermaßen umformen,
es kann nicht, wenn sie vollständig in bestimmten Richtungen der Politik aufK
gewachsen sind, wenn sie zeitlebens es als ihre höchste Ehre betrachtet haben,
den Particular-Interessen zu dienen, nun mit Einemmale zum Opfer gebracht
werden; erst der höhere nationale Schwung, die Erziehung treibt dazu, und ich
bin überzeugt, unsere Kinder werden es viel natürlicher finden als unsere Greise.
Aber darüber, daß ein gewisses Widerstreben stattfindet, nicht vlohlich Alles
Einem entgegengebracht wird, wollen wir uns auch nicht weiter zu sehr grämen,
und wollen deßwegen auch nicht so schwarz in die Zukunft blicken, namentlich