Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

NH beusische Reich und seine rinzelnen Glieder. (März 13.) 75 
sterium. Besteht doch auch ein mit dem preußischen concurrirendes Reichs- 
justizministerium. Wir haben sogar früher in Preußen zwei Justizministerien 
gehabt, das eine für die Verwaltung, das andere für die Gesetzgebung. Es 
ist nur einer außerordentlichen Arbeitekraft möglich, beide gleichzeitig zu leiten. 
Also auch dort könnte ein Reichsjustihminister mit dem preußi- 
schen Justizminister in ein nahes Verhältniß treten, in demselben 
Collegium liben, ohne sich gegenseitig in ihrer Thötigkeit zu 
hemmen. Ich will nicht ehinpen " eine solche Institution ein Ideal 
sei, aber sie ist erreichbar, während ich fürchte, daß ein losgelöstes Reichs- 
ministerium immer in der Luft schweben würde. Nur im vollkommenen Jen- 
seits könnte ich mir ein solches Ministerium denken (Heiterkeit), aber mit dem 
heutigen deutschen Blute werden wir nicht dazu kommen, es wird immer so 
theoretisch, ich möchte sagen: so ätherisch in seiner Ausbildung werden, daß 
es sich allmählich verflüchtigt. Ich möchte nun bitten, daß die öffentliche 
Meinung nicht etwa in den Irrthum verfalle, daß ich daran dächte, die 
Skizze, die ich soeben mehr als eine Kritik des Bestehenden denn als Bild 
des zu Erstrebenden gegeben habe, heute oder morgen zu realisiren. 
Ich halte es überhaupt nicht für möglich, energisch nach einer solchen Rich- 
tung vorwärts zu gehen, und ich mochte auch nicht, daß wir uns in die 
Discussion darüber allzu sehr vertieften. Die Gegenwart gibt uns Stoff 
genug zu Debatten, und wenn wir hier heute schon Das vorwegnehmen, was 
wir vielleicht über ein Jahr in der Steuerreform und später in der Ausbildung 
von Reichsministerien, die aber durch die kanzlerische Verantwortlichkeit ge- 
deckt sind, zu thun beabsichtigen, dann werden wir nicht fertig. Ich bin 
augenblicklich von keinem andern Interesse beseelt, als das uns vorliegende 
Budget mit möglichst wenigen Abstrichen und zu möglichst hoher Zufrieden- 
heit von Seiten des Reichstages durchzubringen, und ich bin durch die Dar- 
legung der Zukunftgedanken — oder nennen Sie es meinethalben Träu- 
mereien; ich habe das Recht, zu träumen, 0t, gut wie jeder Andere — von 
dieser comparten. Aufgabe in keiner Weise abgekommen. Ein Rück blick auf 
de- —* enheit wird Ihnen zeigen, daß die junge deutsche Einheit in zehn 
ren und namentlich in den fünf Jahren, seitdem wir das Reich in seiner 
#ainu haben, in ihrem Wachsthum Fortschritte gemacht hat, auf die 
wir früher nicht gehofft haben. Verlassen wir nicht der Theorie zu Liebe 
den Weg, der uns praktisch weiter geführt het, und wollen wir schneller 
vorwärts kommen, so ist das beste Mittel dazu das einheitliche 
usammenhalten zunächst des Reichstages und der verbündeten 
egierungen, dann aber auch des Reichstages in sich. Ich bin ja 
von dem guten Willen eines Jeden dazu überzeugt; aber der Zorn des 
Kampfes führt unter Umständen weiter. Wenn das Interesse für das Ganze 
sich stärker erweist, als das Interesse für die Verbände der Gesinnungs- 
genossen, wenn der Reichstag mit den verbündeten Regierungen 
oder auch nur mit der kaiserlichen Partei innerhalb der Regie- 
rungspartei giuig ist, wenn die Führung vorsichtig vorwärts 
geht, dann, m. —— kommen wir zum Ziele, das allen billigen 
und verständigen. ünschen unserer Mitbürger entsprechen wird. 
Lasker: Der Reichskanzler sagte neulich, wir könnien a die Bundesvertre- 
tung als Reichsministerium betrachten; ich habe aber —*8 damals betant. 
daß es uns nicht auf den Titel ankommt, sondern auf den Inhalt, und w 
können wenig mit unsern Klagen über Nichtbefriedigung von praktischen Ver 
dürfrissen utköstet sein, wenn man un theoretische Vortrage über Vorschriften 
erfassung hält. Für uns ist die Verfassung auch ein reines Dogma, 
und withabcnscmchcttfofottbctontbaßderRetchstagzutAbandekung 
competent sein soll; wenn sich Schäden herausstellen, so ist es eben seine 
 
	        
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