Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

78 Dos bralsche Reich und seine rinsrinen Glieder. (März 14—15.) 
absolut nichts im Wege, daß Hr. Camphausen heute Präsident des Reichs- 
kanzleramtes würde und die beiden Aemter in sich vereinigte. Ich würde 
mit ihm dabei nicht mehr zu diseutiren haben, als jetzt mit dem Präsidenten 
ofmann; einer solchen Maßregel steht nichts Anderes im Wege, als der 
Umstand, daß der Geschäftsumfang einer solchen Combination ein berartiger 
wäre, daß er von einem einzelnen Menschen absolut nicht zu übersehen ist; 
on der jetzige Geschäftsumfang des Finanzministers erfordert eine so viel- 
seitige Bildung, wie nur ein Mensch sie besitzen kann, der Methusalem's Alter 
erreicht. Aber daneben im Bundesrath und dessen Nusschüssen zu präsidiren, 
das kann er einfach nicht. Es ist ein Irrthum, wenn der Vorredner annimmt, 
der preußische Finanzminister werde nicht gefragt; er ist Mitglied des Bundes- 
ralhes und hat einen zesemtlichen Eingluß auf die Beschlüsse des preußischen 
Ministeriums. Wie kann ich einen Gesetzentwurf vorlegen, wenn ich nicht 
wenigstens der preußischen Stimmen sicher bin? Eine etwaige Meinungs- 
verschiedenheit kann nicht im Bundesrathe vor versammeltem Kriegsvolk, son- 
dern muß vorher im Schooße des preußischen Ministeriums ausgefochten 
werden. Ich werde nie ein Budget gegen die preußischen Stimmen einbringen 
können, und die preußischen Stimmen werden in Budgetsachen nie gegen den 
Finanzminister abgeceben werden. Wenn wir in solchen Irrthümern über 
die wirkliche Sachlage herumkämpfen, so kommen wir zu ganz falschen An- 
schauungen, als ob die Reichsminister trobtz ihrer Theilnahme am preußischen 
Ministerium Subalternstellungen hätten, und als ob die breußischen Minister 
in einer souveränen Herrlichkeit lebten. Der Commandostab des Staats- 
ministeriums, des Collegiums, namentlich aber der Befehl des Königs macht 
die preußischen Minister sehr viel abhängiger, als die Reichsminister gegen- 
wörtig sind. Ich glaube, wenn Sie den Geschäftsgang besser kennen würden, 
würde ich heute in dieser Frage nicht in Widerspruch mit einem Manne 
lind dessen politische Unterstühung mir so oft zu meiner Genugthuung zu 
eil geworden ist. 
14. März. (Deutsches Reich.) Reichstag, Budget für 1877: 
der Reichskanzler theilt gelegentlich mit, daß er das Reichsgesund- 
heitsamt aufgefordert habe, vor allem seine Aufmerksamkeit der Ver- 
fälschung allgemein verbreiteter Lebensmittel zuzuwenden. 
Der Etat des Auswärtigen wird vom Reichstag bewilligt, 
ohne daß eine politische Debatte daran geknüpft wird. 
Budgetcommission: beschließt mit 14 gegen 12 Stimmen, dem 
Reichstag die Genehmigung der von der Regierung geforderten Cre- 
irung von 105 neuen Hauptmannsstellen zu empfehlen. 
15. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: der Etat der Zölle 
gibt zu einer sehr lebhaften Debatte für und wider Schutzzölle Anlaß. 
Im Gegensatz gegen den früheren Präsidenten des Reichskanzleramtes, 
Delbrück, werden dem gegenwärtigen Präsidenten Hofmann entschieden 
schutzzöllnerische Tendenzen zugeschrieben. Die bevorstehenden Unter- 
handlungen wegen Erneuerung des Handelsvertrags mit Oesterreich- 
Ungarn können daher leicht zu einem Wendpunkt für die Regierung 
sich gestalten und werden daher von beiden Seiten mit großer Span- 
nung erwartet.
	        
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