Das deutsqhe Reiq nnd seine einjelnen Slieder. (April 10--11) 87
an der Spihe der Regierung für die Besfestigung der politischen Zustände
habe. Gegenüber mancherlei Schwierigkeilen der augenblicklichen Lage sei es
geboten, alle untergeordneten Gegensätze zurückzudrängen, um durch die engste
Fühlung und die nachdrücklichste Unterstützung des Reichskanzlers dessen Aus-
boaren . in dem Amte zu erleichtern, das kein Zweiter so, wie er, auszufüllen
efähigt
1. April. (Deutsches Reich.) Durch kais. Ordre wird der
Reichskanzler bloß auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Die Vertretung
erfolgt analog der früheren Vertrelung bei der Beurlaubung im Jahre
1872. Der Kaiser behält sich vor, den Nath des Reichskanzlers auch
wãhren des Urlaubs einzuholen.
Die Berliner Abendblätter melden noch sämmtlich, daß der Biceprä-
sident Camphausen die Stellvertretung, Bismarck's auch in den Reichsange-
legenheiten übernehmen werde. Dies ließen die Vorschläge erwarten, welche
mm 9. April dem Ministerrathe vorlagen; aber der Kaiser hat gemäß dem
Vortrage, den der Fürfl nach dem Ministerrathe bei ihm hatte, vielmehr eine
dreifache Stellvertretung ohne Uebertragung der Contrasignatur an einen der
Stellvertreter beschlossen. Nach den Aeußerungen der Prov.-Corr. ist anzu-
nehmen, daß die getroffene Entscheidung wesentiich bedingt worden ist durch
die Aussicht auf Meinungskämpfe, welche sich durch die Uebertragung einer
umfassenden Stellvertretung mit einer verantwortlichen Contrasignatur hätten
ergeben können. Man hatte Grund zu der Annahme, daß durch eine parla-
mentarische Erörterung der Angelegenheit dieselbe erschwert werden würde.
Die jebige Lösung entspricht genau der 1872 getroffenen Einrichtung, nach
welcher der Präsident Delbrück den Kanzler in den Geschäften des Kanzler-
amtes, der Staatssekretär v. Thiele in den Geschäften des auswärtigen Amtes
und der Kriegsminister v. Roon als ältester Minister in den Präsidialge-
schäften des preußischen Staatsministeriums vertrat. Besonders bemerkens-
werth ist noch, daß dem Fürsten diesmal der Urlaub ausdrücklich auf un-
bestimmte Zeit ertheilt ist. Der Beginn des Urlaubs ist vom 10. April
datirt. Der Anordnung der Uebertragung der Geschäfte an die, genannten
drei Minister wird hinzugefügt, daß Se. Majestät sich worbehält „, in hoch-
wichtigen Fällen den Rath und die Ansicht des Fürsten einzuholen.
11. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Folgendes Schrei-
ben des Reichskanzlers an den Reichstags-Präsidenten wird verlesen:
„Berlin, 11. April. Euer ochwohlgeboren beehre ich mich ergebenst
zu benachrichtigen, daß der Zustand meiner Gesundheit mir zu meinem leb-
haften Bedauern nicht gestttrt mich an den bevorstehenden Verhandlungen
des Reichstags zu betheiligen. Behufs meiner Wiederherstellung hat Se. Maj.
der Kaifer die Gnade gehabt, mir einen Urlaub zu ertheilen, und genehmigt,
daß während der Dauer desfelben meine Vertretung im Hause und die lau-
senden Geschäfte bezüglich der inneren Angelegenheiten des Reiches von dem
Präsidenten des Reichskanzleramits, bezüglich der auswärtigen von dem Staats-
sekretär v. Bülow übernommen werde.“
Häunel wünscht, daß das Schreiben gedruckt, vertheilt und zum
Gegenstande der Berathung in einer der nächsten Sitzungen gemacht
werde. Präsident v. Forckenbeck verweist auf den Prägedenzfall vom
17. Mai 1872: damals sei eine weitere Erörterung daran nicht
geknüpft worden; das Schreiben werde selbstverständlich gedruckt