Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Kußland. (Febr. 1 — März 4.) 441 
vorläufigen Waffenstillstandes zwischen Rußland und der Pforte ab- 
geschlossen, der indeß die Russen nicht hindert, fortwährend näher an 
Konstantinopel heranzurücken. Eine wenigstens zeitweilige Besetzung 
Konstantinopels ist von ihnen in Aussicht genommen (s. Pforte). 
1. Februar. General Ignatieff verlangt von Rumänien mit 
dürren Worten die Retrocession Bessarabiens beim Friedensschluß 
mit der Türkei. 
5. Februar. Attentat der Wera Sassulitsch auf den Stadt- 
hauptmann von St. Petersburg, General Trepoff, indem sie, welche 
mit anderen Bittstellern bei der täglich stattfindenden Audienz empfan- 
gen wird, bei Ueberreichung ihrer Bittschrift zwei Revolverschüsse auf 
den General abfeuert. Der Zustand des Generals ist bedenklich. 
Der Kaiser und der Neichskanzler besuchen den General. In der Stadt 
herrscht große Erregung. Die Verbrecherin verweigert jede Auskunft. 
6. Februar. Nußland nimmt die österreichische Einladung zu 
einer enropäischen Conferenz an, wünscht aber einen anderen Con- 
ferenzort als Wien und behält sich auch vor, gewisse Punkte von 
der Berathung der Conferenz auszuschließen. 
13. Februar. Die englische Flotte fährt in die Dardanellen 
ein. England und Rußland stehen also vor Konstantinopel einander 
bereits gegenüber. 
— Februar. England rüstet mit aller Macht. Zwei Expedi- 
tionscorps von zusammen 70,000 Mann sollen bereit gestellt werden. 
3. Märg. (Der Krieg.) Rußland und die Pforte schließen 
in S. Stefano unter der Leitung Ignatieffs einen förmlichen Frie- 
densvertrag ab (s. den Wortlant unter Pforte). 
4. und 18. März. Schreiben des neuen Papstes Leo an den 
Kaiser und Antwort des Kaisers: 
Im Eingange des päpstlichen Schreibens vom 4. März heißt es: 
„Indem wir das Nichtmehrvorhandensein der gegenseitigen Beziehungen be- 
dauern, welche früher zwischen dem h. Stuhl und Ew. Majestät bestanden, 
wenden wir uns an Ew. kaiserliches großmütiges Herz, um Frieden und 
Ruhe für die Gewissen der katholischen russischen Unterthauen zu erlangen, 
und leptere werden nicht verfehlen, ihrer Glaubenslehre folgend, sich mit der 
gewissenhaftesten aünterverjung treu und ergeben gegen Ew. Majestät zu 
zeigen. Vollständig vertrauend auf die kaiserliche Gerechtigkeit bitten wir 
Gott, Ihnen die Himmelsgaben im reichsten Maße zu gewähren und bitten 
ihn, er möge Cw. Majestät mit uns durch die engsten Bande der christlichen 
Liebe verbinden.“ Die Antwort des Kaisers vom 18. März sagt: „Wir 
theilen den Wunsch nach guten Beziehungen. Religiöse Toleranz ist ein in 
Rußland durch politische Tradilionen und nationale Silten geheiligtes 
Princip. Nicht von uns hing es ab, die Schwierigkeiten zu beseitigen, damit 
 
	        
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