Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

454 Die ottomannischt Pforle. (Jan. 9—14.) 
stillstandes wird dadurch nakürlich in die Länge gezogen, was die 
Russen auch wünschen und beabsichtigen. Die Pforte ihrerseits zählt 
noch immer auf die Hilfe Englands, wenigstens im letzten Augenblick. 
Inzwischen ist der ganze Westen südlich des Balkans für die Türken 
so gut wie verloren und es bleibt ihnen nichts als ein eiliger Rückzug nach 
Adrianopel übrig, um für die Russen den letten, entscheidenden Widerstand 
zu leisten, wenn es nicht dazu schon zu spät ist. Die Befestigungsarbeiten 
bei Adrianopel wurden schon im Frühjahr 1877 begonnen und namentlich 
zur Zeit des Gurko'schen Vorstoßes im Juli sehr energisch fortgesetzt, so daß 
allerdings aus Adrianopel eine Feldfestung geworden ist, die an Ausdehnung, 
Armirung und Planmäßigkeit der Ausführung Plewna weit übertrifft, aber 
allerdings den Nachtheil allzugroßer Weitläufigkeit darbietet, wenn die Pforte 
nicht im Stande ist, dasselbe mit einer genügend großen Armee zu besetzen. 
Und das vermag sie nicht mehr, dazu ist es eben für sie zu spät. 
9. Januar. (Russ.-türk. Krieg II.) Erzerum ist von den 
Russen vollständig blokirt: die Uebergabe der Hauptstadt Armeniens 
ist nur noch eine Frage der Zeit. 
10. Januar. (Montenegro.) Antivari ergibt sich den 
Montenegrinern, die sich nuumehr gegen Scutari wenden. 
1I1. Jannar. (Serbien.) Nisch ergibt sich den Serben, die, 
dadurch frei, nunmehr den rechten Flügel der russischen Feldarmee 
in ihrem Vormarsch gegen Adrianopel und Constantinopel unter- 
stützen können. 
11. Jannar. Edhem Pascha tritt als Großvezier zurück und 
wird durch Hamdi Pascha ersetzt. 
Edhems Nücktritt ist nicht die Folge einer Pforten= oder Serail-In- 
trigue; denn gegen alle derartigen Versuche hatte der Sultan seinen ersten 
Minister standhaft vertreten; sein Rücktritt hat vielmehr politische Motive 
und darum eine große Bedenlung: er bedeutet einen Programmwech el. 
Edhem Pascha war für die Verwerfung des Londoner Protokolls, das er für 
ein für die Türkei Hradezu selbstmörderisches Instrument nedr. hatte. So 
lange daher Edhem an der Spitze des Cabinets stand, waren Separatver- 
hannngen mit Rußland nicht möglich; in dem Angeublick, wo sie sich als 
unabweisliche Nolhwendigkeit aufdrängten, mußte er weichen. Das ist die 
Bedeutung des Cabinelswechsels in Constantinopel. Nicht etwa weil die 
Person des neuen Großwessiers Hamdi Pascha ein Programm im Sinne des 
Fssichen Fahrwassers vertritt, sondern weil er als bomo norus, und durch 
keine Vergangenheit engagirt, sede 3 Programm annehmen kann, welches die 
Umstände der Pforte aufnöthigen. Mit dem Rücktritt Edhem Pascha's dankt 
die Hoffnung des zerschmetterten Ozmanenstaales auf England ab — Nuß- 
land erscheint als der Gewinner des Spiels. 
12. Januar. (Russ.-türk. Krieg I.) Der russische Ober- 
feldherr, Großfürst Nikolaus, reitet an diesem Tage, dem russischen 
Neujahrstage, über den Balkan und schlägt sein Hauptquartier in 
Kesanlik auf. 
14. Jannar. (Russ.-türk. Krieg I.) Ein schrecklicher Zug 
 
	        
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