Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 25— 31.) 49
Arbeiterpartei stehen. Wenn man sage, die Sojialdemokralen jeien unprak-
tisch, sie wollen auf dem Wege friedlicher Reform nichts erreichen, so ver-
weise er blos auf das von den sozialdemokratischen Abgeordneten vor nun-
mehr fast Jahresfrist im Reichstage eingebrachte Arbeiterschuyhgesetz. Wenn
die Herren es aufrichtig meinen, so haben sie keine neue Parteibildung nö-
thig, sondern nur die Sozialdemokraten in diesen ihren Forderungen zu unker-
stützen. Die Herren wissen jedoch nur zu gut, daß das Volk sich mit solchen
Hsen. 2 Herren die vermöge des sich mit Raturnothwendigseit vollziehen-
den ökonomischen Prozesses gar wenig nützen, auf die Länge der Zeit nicht
begnüge. Nur eine radikale Umwälzung des heutigen Staatssystems sei im
Stande, Noth und Elend aus der Welt zu schaffen. (Stürmischer Beifoall
und heftiger Tumult.) Da dieh den Herren aber bekannt, daß die sozial-
demokratische Sturmfluth der gesammten Unterdrücker- und Ausbenterklasse
fürchterlich zu werden beginne, so versuchen es, wie zur Zeit die Fortschritts-
partei, umehhe die Pfaffen, die Arbeiterbewegung einzudämmen. (Stürmi-
cher Beifall nd heilige Unterbrechung.) Jeder einzelne Sozialdemokrat
werde jedoch, so lange noch ein Athemzug in ihm sei, gegen dieses Attentat
auf bie Weiheillich Volksbewegung mit aller Entschiedenheit Front machen.
Er schließe mit Ulrich von Hutten: „Herunter, Ihr Heuchler, die Kutten.“
(Stürmischer Beifall und heitiger Uunnlt.) Bis hierher vermochte man
troh des heftigen, von beiden Seiten inscenirten Skandals den Nednern noch
immer zu jolgen, nach der Rede des Herrn Most nahm der Tumult jedoch
einen so heftigen Charakter an, daß die Versammlung polizeilich geschlossen
werden w e
- 25. Januar. (Bayern.) II. Kammer: Berathung des
Budgets, Etat des Innern: Generaldiskussion, der vorgesehene Dis-
positionsfonds des Ministers wird auch bei diesem Etat von der ultra-
montanen Mehrheit als Mißtrauensvotum gestrichen.
#s war vorauszusehen, daß die Generaldiscussion zum Etat des Mi-
nisteriums des Innern der Tummelplatz sein werde für heftige Angriffe gegen
die Regierung und speciell gegen die Person des Ministers, und daß nament-
lich die HH. Jörg und Schels die Reform des Landlags zwahlgesetzes wieder
zur Sprache bringen würden. Uebrigens leidet der Angriff der Opposition
augenscheinlich an dem Bewußtsein innerer Schwäche, sonst hälle sie doch
kaum zu dem Popanz ihre Zuslucht genommen, mit welchem gewöhnlich nur
ihre Preßorgane unterster Sorte schwächliche Leser zu schrecken suchen: zu
dem Gespenst, als lwelches man den Freimaurerorden hinstellt. Die Schreckens-
bilder des Abg. r. Nittler erregten denn auch lediglich helles Gelächter.
Im Ganzen ist din Verhandlung wieder derart, daß, als am Ende der Ne-
ferent Dr. Buhl zum Schlußwort aufgefordert wird, er einfach erklären
kann: zum Etat, der auf der Tagesordnung stehe und welchen zu vertreten
er die Aufgabe habe, sei kein Wort gesprochen worden, weßhalb er süglich
schweigen könne.
28. Jannar — 1. Februar. (Bayern.) II. Kammer: ge-
nehmigt den Ges.-Entw. betr. Errichtung eines Verwaltungsgerichts-
hofs wesentlich nach den Anträgen der Kommission. Der Verwal-
tungsgerichtshof wird alfo zunächst noch nicht ins Leben treten.
31. Jannar. (Deutsches Reich.) Der neue, von der nun-
mehr gefestigten republikanischen Regierung Frankreichs sach Berlin
Schulthess, Gurop. Geschichtskalender. XIX. 8d.