180 Pe beulsche Reich und frine rinzeluen Glieder. (Juni 4—5.)
menommen würde, wäre die, daß die Rentabilitäl aller Privatbahnen voll-
sndig und selbst ohne den Anschein irgend einer rechtlichen Garantie in
die Hände des Bundesraths *Jl07 wird. Daß nach etwaiger Annahme dieses
Gesetzentwurfes keine Privatbahn mehr den Wunsch hegen würde, ihre Selb-
ständigkeit zu behaupten, und daß es für Eisenbahnactien nur Verkäufer und
keine Känfer geben würde, versteht sich von selbst. Die zweite, noch ernstere
Folge wäre aber die, daß das Schicksal des ganzen Handels und jedes ein-
zelnen Lapdelepiaes fortdauernd in den Hüween des Bundesraths läge.
Durch die Befugnisse, die in Betreff der Tarife für transitirende Waaren und
der Instradirung der Waaren auf den einzelnen Bahnen dem Bundesrathe
zustehen, liegt es jeden Augenblick in der Hand des letztern, den Verkehr in
gewissen Waarengattungen von einem Plaße abzulenken und einen andern
zu begünstigen. Der Bundesrath soll thatsächlich die höchste verwaltende
Behörde in Eisenbahnsachen werden. Der Entwurf kehrt sich in seiner Be-
gründung gegen die „Ausbeutung“ der Privatbahnen, in Wahrheit zielt er
aber nicht minder gegen die mittelstaatlichen Staatsbahnen. Mit ihm hört
die öconomische Selbständigkeit jeder Bahnverwaltung, ob Privatbahn oder
Staatsbahn, völlig auf. Auf die Einnahmen aus dem Gü erverkehr treffen
zwei Drittel der Eisenbahneinnahmen. Die Gestaltung ihrer Eisenbahn-
budgeks aber ist bestimmend für die Staatsbudgets der Mittelstaaten; wer
ihre Eisenbahnbudgets regulirt, hat ihre Finanzen in der Hand und damit
die Bedingungen ihrer politischen Selbständigkeit. Der vorliegende Gesetz-
entwurf in Verbindung mit den Steuervorlagen, wele die Einzelstaaten
auf Ueberschüsse aus der Reichskasse anweisen, ist der Bruch mit dem bun-
desstaatlichen Princip und die bewußte Anbahnung des Einheitsstaates. Daß
demnach Württemberg, Sachsen und Baden zu dem Gesetzentwurf in halber
Opposition stehen, darf nicht verwundern. Bayern ist formell durch sein
Reservatrecht gegen die Anwendung jedes Reichseisenbahngesefes auf seine
Bahnen geschüßt; thatsächlich aber wird ein vou Reiche einheiklich geleiteter
Concurrenzverkehr seine Selbständigkeit mittelbar erheblich einschränken.
Oldenburg und Hessen haben im Ausschuß zuletzt dem Geefentwur, zu-
gestimmt; sie liegen bereits mit ihren Bahnen derart im preußischen
bereich, daß sie keinen nachhaltigen Widerstand mehr leisten können. Die
Mittelstaaten suchen den Kanzler dilatorisch zu behandeln und haben daher
zunächst Aussetzung der Abstimmung im Bundesrath beantragt. Kommt
ihnen aber nicht Bayern zu Hilfe, so werden die 14 Stimmen zum Veto
gegen die im Entwurf enthaktenen Verfassungsänderungen nicht vorhanden
ein. Die einfache Mehrheit aber hat Preußen in Eisenbahnsachen allemal
im Bundezrath, da die Kleinstaaten, welche keine eigenen Bahnen besitzen,
kein Interesse haben, Preußen zu widersprechen. Das ungefähr sind die
Einwürfe, die gegen den Entwurf des Reichskanzlers namentlich in den
Mittelstaaten und zwar sehr nachdrücklich gemacht werden.
4.—5. Juni. (Deutsches Reich.) Delegirtenconferenz deutscher
Gewerbekammern in München. Es haben sich 32 Delegirte von 18
Gewerbekammern eingefunden, um die Interessen des Kleingewerbes
gegenüber denjenigen der Fabrikindustrie und des Handels zu berathen.
Den Gegenstand der Berathung des ersten Tages bildet eine Denk-
schrift der Hamburger Gewerbekammer: „Ein Wort über principielle Reform
der deutschen Gewerbe-Ordnung" und nachstehende in dieser Denkschrift ent-
haltene fünf Thesen: 1) Trennung des Fabrikgesetzes von der eigentlichen
Gewerbe-Ordnung; 2) Befreiung der Gewerbe-Ordnung von allen Bestimm-
ungen, welche polizeilicher oder civilrechtlicher Natur sind oder in sonstige
Specialgesetze gehören; 3) Entwicklung des Innungsrechtes und der den