Das beuische Reich und seine einzelnen Glleder. (Juni 21.) 187
21. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Berathung
des Gesetzentwurfs betr. die Verfassung und Verwaltung von Elsaß-
Lothringen. Derselbe wird fast unverändert — ein Antrag Winterer's
bez. der Wahlen zum Landesausschusse, von dem die Regierung er-
klärt, daß bei Annahme desselben der ganze Entwurf für die Re-
gierung unannehmbar sein würde, bleibt in der Minderheit — an-
genommen.
Im erfreulichen Gegensatz 7 so manchen Erscheinungen, welche die
jüngsten Neichstagserhand ungen boten, und neben der wüsten Handelschaft
um die Zolltarifsähze, sowie dem Parteitreiben bezüglich der Finanzreform
bewegt sich die Verhandlung über die elsaß-lothringische Verfassungsform.
Es gebührt ihr das Zeugniß, daß Freunde und Gegner der Vorlage dazu
beitragen, die Debatte auf der Höhe zu erhalten, welche die Wichtigkeit des
Gegenstandes erheischt. Wenn man Cerbennen * daß auch Gegner der
Vorlage einen ruhigeren Ton anschlagen, so bezieht sich dies nicht auf die
clericalen und Prodestabgeordneten ans dem Näichetand) Mit dieser Aus-
nahme hat der gesammte Reichstag von der äußersten Rechten bis zur äußersten
Linken für die Vorlage gestimmt, wie ja auch bei der dritten Berathung die
Annahme des Entwurfs en bloc erfolgt. Auch das kleine Häuflein der Fort-
schrittsfraction entzieht sich, nachdem die wenig zahlreich anwesenden Mit-
glieder derselben für ein paar aussichtslose Amendirungen der Protestabge-
ordneten gestimmt, der patriotischen Micht nicht, durch ihre Milwirkung bei
der Gesammtabstimmung bernhun daß der ganze Deutsche Reichslag in
dieser Verfassun breform ür das Reichsland demselben freudig und ver-
trauensvoll ein Angebinde darbringt, welches hoffentlich die große Mehrheit
der Bevölkerung des Neichslandes zu schätzen wissen wird. Für die Antono-
mistenpartei, welche bekanntlich im Landesausschusse die große Mehrheit bildet,
während sie auf dem Reichstage zunächst nur durch vier Mitglieder vertreten
wird, ist die Durchsetzung dieser Verfassungsreform, welche in mehreren
Punkten gerade durch angenommene Vorschläge der Antonomisten eine wesent-
liche Verbesserung erhalten hat, ein großer, wohlverdienter Erfolg.
Die „Wuchercommission" des Reichstags nimmt folgenden Gesetz-
entwurf bett Ergänzung des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich an:
Art Hinter dem §. 302 werden folgende neue Paragraphen ein-
geschaltet: # 302#a. Wer unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns
oder der Unerfahrenheit eines Anderen für ein Darlehen oder im Falle der
Stundung einer Geldforderung sich oder einem Dritten Vermögensvortheile
versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt über-
schreiten, daß nach den Umständen des Falles die Ueberschreitung in auf-
fälligem Mißverhäliniß zu der Leistung steht, wird wegen Wuchers mit Ge-
sängamn bis R sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 1500 bestraft.
Wer sich oder einem Dritten die wucherlichen Vermögensverhältnisse
8. 52 verschleiert oder wechselmäßig oder unter Verpfändung der Ehre, auf
Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Bethenerungen
versprechen lältl. wird mit Gefängniß bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bis zu 3000 M bestraft. Neben der Gef länguihstrafe, kann auf Verlust der bür-
gerlichen Sa n e erkannt werden. §. 302c. Dieselben Strafen treffen den-
senigen, welcher mit Kenntniß des Sachverhalts gin Forderung der vorbezeich-
neten Art erwirbt und entweder dieselbe weiter veräußert oder die wucherlichen
Vermögensvortheile gellend macht. §. 302 4. Wer den Wucher gewerbs= oder