204 BDas beaische Reich und seior einzelnen Glieder. (Juli 9.)
Reaclion zu schreien und auf diese Weise gewissermaßen den Teusel an die
Wand zu malen. Durch das Verdächtigen der Reaction, durch das Anschul-
digen lönnen Sie unter Umständen einen Minister, der schüchterner ist, als
ich bin, veranlassen, daß er gerade, um sich der Feindschaft zu erwehren, in
die ihn der Verdacht der Reaction bringt, bewußl oder unbewußt zu diesen
Mitteln greist und Anlehnung da sucht, wo er für den Augenblick weniger
Feindich aft findet. In der Lage bin ich # nichl. Ich bin dem Ende meiner
— zu nahe, um zu Gunsten irgend einer Zukunft noch meine Gegen-
wart zu verderben. Aber seit einem Jahre, seit elwas länger als einem
Jahre habe ich in dem Wohlwollen, welches mir früher von liberaler Seite
zu Theil wurde, eine merkliche Ablühlung gefunden. Sie gab sich kund durch
eine merkliche Zurückhallung, durch Reserve, durch eine gewisse Poaei, die
andeutete, ich müßle zu Ihnen lommen. Ich hatle das Gefüh daß Sie
von mir Dinge verlangen würden, die ich nicht leisten könnte. Eine Fraction
kann sehr wohl die Regierung antterstühen und dafür einen Einfluß darauf
Vewinnen, wie ich erwähnte, aber wenn sie die Regierung wieren! will, dann
zwingl sie die Regierung, ihrerseils dagegen zu reagiren. Ich habe das Ge-
fühl namentlich gehabt, als ohne mein Wissen und mein Zuthun inmitten
#s Reichstags durch Verständigung der beiden Präsidenlen eine Landtags-
hien von mehreren Wochen eingeschoben wurde, als in dieser Landtags-
session, die meiner Meinung nach erst nach Schluß des Reichstags hälte
statlfinden sollen, Anträge, die im Grunde alle Leute für sich haklen, der
Regierung, ich laun nicht anders glauben, nur deßhalb, weil ich sie ein-
brachte, abgelehnt wurden. Nun ist Das in der Polilil, in der innern, ja
doch wohl auch ähnlich wie in der auswärtigen, wo oft sehr viele Regier-
ungen glauben, sie können ihrerseils diplomalisch - selbst materiell Loier-
ohne daß der Andere gerüstelt isl. Es ist Das in der Politik immer so, als
wenn man mit unbelannlen Leuten, deren nächste Hayolungen man nicht
lennt, in einem unbekannten Lande geht: wenn der Eine seine Hand in die
Tasche sleckt, so ziehl der Andere schon seinen Revolver, und wenn der Andere
abziehl, so“ schießt der Erste; da kann man sich nicht verlassen, ob die Vor-
aussetzungen des prenbischen Landrechis über die Nothwehr eintreffen werden,
und da das prenßische Landrecht in der Polilik nicht gilt, so ist man alter-
nativ sehr rasch zur aggreisiven Vertheidigung bereit. Ich habe mich, wenn
auch ni # angegriffen, so doch veklassen und isolirt gefühlt, ich habe Das
noch mehr gefühlt bei der ensin socialdemokratischen Weilage und ich habe
gehofft, baß bei der damaligen Aussonderung die disparaten Elemente, die
in einer großen und nominell die Regierung unterstützenden Fraction ver-
einigt waren, sich sondern würden. Es ist das nicht gelungen, und so lange
das nicht delingi, werden Sie jede Regierung, namentlich aber die verbündeten
Regierungen immer vorsichtig in ihrer Anlehnung finden und nicht so ver-
trauensvoll, als dieß früher der Fall gewesen ist. Also die vielen Andeut-
ungen, als hätte ich mit irgend einer Fraction gebrochen, oder ich wäre
zuerst aggressiv verfahren, die treffen nach meinem inneren Bewußtsein nicht
zu. Ich habe, seit ich Minister bin, nie einer Fraction angehört, auch ni
angehören können; ich bin successiv von allen gehaßt, von, einigen geliebt
worden. Es ist das à tour de rölc herumgegangen. Als i ich zuerst im J.
1862 das preußische Ministerpräsidium übernahm, da ist in Aller Angedenken,
bis zu welchem — ich kann wohl sagen — vuterlandssfeindlichen Zorn sich
Hab mir gegenüber verkorderie und bis zu gewissem Maße auch gegen
# höheren Emmlisst die mich auf dem Posten erhielten. Ich habe mich
har 14 eirren lassen und habe auch nie versucht, wich dafür zu rächen,
ich ha m Anfang meiner Carrière an nur den einen Leitstern gehabt:
durch welste Mittel und auf welchem Wege kann ich Deutschland 1 einer