Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 3.) 227 
Begehren des Clerus nach „Beseitigung der den Organen der Kirche bei Er- 
theilung und Leitung des Religionsunterrichts bisher bereiteten Hindernisse“, 
unter Hinweisung auf den beinahe einstimmigen und systematischen Wider- 
stand der katholischen Geistlichkeit entschieden ab, indem er erklärt: „Daran 
muß doch festgehalten werden, daß die Bestimmung über Art, Maß und Um- 
fang der kirchlichen Meheiligung an der Pflege der Schule Sache des Staats 
sein und bleiben muß Die Ultramontanen sind mit dieser Antwort 
nicht sehr zufrieden „Germania“ erklärt, daß nach diesem Erlaß ein 
wesentlicher Untersthied zischen dem System Falk und dem System Pult- 
kamer nicht zu finden sei. „Beide vertheidigen das absolute Schulaufsichts- 
recht des Staates, das in seinen Consequenzen eben zur Ausweisung der 
Kirche aus der Schule und zur völligen Trennung von Schule und Kirche 
führt; beide slellen die principielle Forderung des „unveräuHerlichen Gesetz- 
gebungsrechtes des Staates“ auch in kirchlichen Angelegenheiten; beide reden 
von einer „Abwehr unerfüllbarer kirchlicher unüce, zu der angeblich der 
Staat auf dem Gebiete der Schule genöthigt sei. v. Puttkamer erklärt 
sich endlich bereit, in einzelnen Fällen, wo über E Maß jeuer Abwehr 
hinausgegangen worden sei, Remedur zu schaffen, ähnlich wie Hr. Falk wie- 
derholt mit seinem sonderbaren Pathos im Landtage Abhilje nFal, wo 
ihm das Bedürfuiß dazu nachgewiesen werde. Anzuerkennen bleibt demnach 
an dem Actenstück nicht viel mehr als die Form, die friedlich klingt und 
der Hoffnung auf bessere Zeiten Ausdruck gibt.“ 
3.—4. September. (Deutsches Reich.) Der Kaiser besucht 
den Kaiser von Rußland in Alexandrowo, der letzten Station auf 
russischem Gebiete. Die Zusammenkunft lag nahe, da sich der rus- 
sische Kaiser einmal in Warschau befand und der deutsche Kaiser 
im Begriff war, zu den großen Manövern nach Königsberg abzu- 
gehen, und wurde durch den nach Warschau gesandten Feldmarschall 
v. Manteuffel vermittelt. Dieser erwartele auch den Kaiser mit dem 
deutschen Generalconsul aus Warschau in Bromberg und fuhr dann 
mit ihm weiter nach Thorn. Dennoch macht der Umstand, daß die 
Zusammenkunft auf russischem und nicht auf deutschem Gebiete stait 
findet und daß also der greise deutsche Kaiser dem viel jüngeren 
russischen Kaiser auf sein Gebiet entgegengeht, großes und fast pein- 
liches Aufsehen. Der Reichskangler soll, wie behauptet wird, mit 
der Zusammenkunft in !t“* * nicht einverstanden gewesen sein. 
Das Nähere will die „Köln. Zig.“ wissen: rr- Beschluß zu der 
Zusammenkunft der beiden irigol n kaum 24 Stund nden vor Abreise d 
Kaisers Wilhelm gefaßt worden. Am 1. d. M. fand ein lebhafter ihen 
wechsel zwischen dem Kaiser und dem Feldmarschall v. Manteuffel statt. Der 
Lehtere übermiktelte die dringende Einladung des Kaifers Alexander zu einer 
Begrüßung unseres Kaisers an der Grenze auf dessen Reise nach Königsberg. 
Die Vorbereitungen dazu find so geräuschlos und heimlich betrieben worden, 
daß das Gefolge des Kaisers erst am 2. Nachmittags Kunde von der # Neise 
erhalten hat. Wenn nun auch mit besonderer Betonung soiort gemeldrt * 
daß der Kaiser nur mit milikärischem Gefolge reist, so wird krotz alle 
Niemand glauben wollen, daß man es hier mit einem Ereigniß ohne arhel- 
liche politische Tragweite zu thun habe.“ Der Berliner sn 2 „Pol.
	        
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