Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 19—21.) 233
ristischen Schilderungen, welche die „Nowoie Wremja“ von der Invasion
und dem Regime der Oesterreicher in Bosnien und der Herzegowing entwirst.
Darnach ist Oesterreich nichts anderes als „eine Zweite europäische
Türkei“; es ist „dazu herangereift“, nicht bloß, wie jüngsthin am Lim ge-
äußert wurde, „der Alliirte der Türkei“ zu werden, sondern auch „ihr
Schicksal zu theilen“!
Die Differenzen und die Spannung zwischen der russischen und
der deutschen Regierung sind also trotz der Zusammenkunft der beiden
Kaiser in Alexandrowo dieselben geblieben. Denn die angebliche
Unabhängigkeit der hauptstädtischen russischen Presse ist notorisch ein
bloßer Schein. Die öffentliche Meinung in Deutschland ist daher
sehr gespannt auf das Refultat der Reise des deutschen Neichskanz=
lers, der, wie die Blätter ziemlich demonstrativ verkündigen, von
Gastein über Wien nach Verlin zurückkehren wird.
19. September. (Preußen.) Das Kreisgericht von Deutsch-
Crone (Posen) verhandelt über eine Anklage gegen den ehemaligen
Erzbischof Ledochowski wegen Uebertretung der Maigeseße (betr. die
Verhängung der großen Excommunication gegen den staatstreuen
Probst Lizak in Schrotz) und verurtheilt Ledochowski zu 2000 . A
Strafe event. 70 Tagen Gefängniß und gur Erstattung der Kosten.
20. September. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler ver-
läßt Gastein, um über Wien nach Verlin zurückzukehren. Derselbe
hat seine Abreise um einen Tag verschoben; der österreichische Kaiser
aber unterbricht seine Jagden, um ihn in Wien zu empfangen.
21.— 24. September. (Deutsches Reich.) Aufenthalt des
Reichskanzlers in Wien. Bismarck schließt ein förmliches Schutz-
bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich = Ungarn ab, dessen
Wortlaut indeß geheim bleiben soll. Die öffentliche Meinung spricht
sich darüber sowohl in Deutschland als in Oesterreich im höchsten
Grade befriedigt aus. Dasselbe soll offenbar eine gewaltige Macht
zur Wahrung des Friedens nach Ost und West in der Mitte Eu-
ropas zusammen fassen. Gegen Rußland ist es offensiv allerdings
nicht gerichtet, aber daß es eventuell eine Spitze gegen Rußland
wendet, scheink immerhin außer Frage zu sein, und da die öffentliche
Meinung in Frankreich auf die Gortschakoff'sche Idee einer russisch-
französischen Allianz wenigstens z. Z. nicht eingegangen ist, so ist
Rußland in Europa ifolirt, wofern es nicht auf seine panflavische
Politik verzichtet und zu einer ehrlichen Ausführung des Berliner
Friedens die Hand bietet.
Es scheint thatsächlich richtig, daß die Verständigung zwischen Bis-
marck und Andrassy in einem Protokoll niedergelegt wird, das noch während