Das deulsche Reich und selne einzelnen Glieder. (Oct. 16—17.) 253
was die Regierung augenblikklich dem Antrag gegenüber in eine sehr mißliche
Lage gebracht hätte, und erklärk, daß er seine persönliche Ansicht über den
Werth des Culturexamens hier nicht äußern könne, da ihm seine amtliche
Eigenschaft gebiete, bbestehende Gesetze nicht zu kritisiren. Der Minister ver-
spricht jedoch, den Antrag Kögel's sorgfältig z erwägen und, wenn irgend
möglich, im Sinne der Synode zu erledigen. Dagegen bemerken die Gegner:
„Der erste Stein aus dem Bau der kirchlichen Maigesetgebung ist heraus-
gezogen. Die Generalsynode und Herr v. Puttkamer haben den ersten Stoß
möglichst geräuschlos geführt. Es ist eben so bezeichnend, daß der Angriff
von evangelisch-orthodoxer Seite ausgeht, wie, daß er nicht den Polizei-
beschränkungen der Geistlichkeit — dem Veto bes Oberpräsidenten gegen die
Anstellung —, sondern der positiven Forderung des Staates über den Nach-
weis einer allgemeinen wissenschaftlichen Vildung bei den Geistlichen gegolten
at. Das sog. Culturexamen wird nicht abgeschafft, es wird nur mit dem
ersten theologischen Examen verbunden. Aur werden Theologen und nicht
Professoren der philosophischen Facultät nach der allgemeinen wissenschaftlichen
Bildung (Philosophie, Geschichte, deutsche Literatur) des jungen Theologen
forschen, und diese ihm „innerlich näher stehenden Männer“, wie v. Putt-
kamer es bezeichnete, werden schon dafür sorgen, daß der Zweck des Examens,
„ die Theologen durch eine allgemeine Bildung vor einer einseitigen oder
befangenen Richtung zu bewahren“, nicht allzu wörklich Lenommen wird.
Zugleich ist der römischen Kirche durch diesen Vorgang in anschauliches
Beispiel gegeben, wie die Maigesete bei formaler Aufrechterhaltung doch
innerlich ihres Inhaltes und ihrer Bedentung vollständig entkleidet werden
önnen.“
16. October. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Aus-
schuß desselben für auswärtige Angelegenheiten tritt unter dem Vor-
sitze des bayerischen Staatsministers v. Pfretzschner zu einer Sitzung
zusammen. Der Stellvertreter des Reichskanzlers macht demfselben
Mittheilung über das Schutzbündniß mit Oesterreich.
17. October. (Elsaß-Lothringen.) Der neue keiserliche
Statthalter General Feldmarschall v. Manteuffel besucht Metz und
richtet-an die versammelten Spitzen der Behörden folgende Ansprache:
„Ich begrüße Sie von Herzen. Der Mensch ist abhängig von äußeren
Eindrücken) deben unterliege ich hente. Als ich in Meh einfuhr, trat es
lebendig vor meine Seele, wie viel Blut ich auf den Gefilden um Me Wieh, habe
fließen sehen, und wie unt ich des Nachts darüber gedacht, der Stadt Schaden
zu thun. Aber noch viel mehr werde ich jeht darüber nachdenken, dem Lande
wohlzuthun, und all mein Sinnen und Vermögen concentrire ich in diesem
Gedanken. Es hat sein Schweres, an jedem Orte dasselbe zu sag en, und
doch kann ich nicht anders. Sie werden gelesen haben, ns ich den Beamten,
den Juristen, den Lehrern in Colmar ausgesprochen. Das rufe ich Ihnen
in's Gedächtniß. Hier in Lothringen ist es fast noch mehr unsere Pflicht,
daß wir uns anstrengen, um dem Lande den Uebergang in die neuen Ver-
hältnisse zu erleichtern, denn im Elsaß gibt es viel mehr geschichtliche An-
klänge, die uns . Deutschland hurücsülluen. als hier in Lothringen. Aber
die Herren von Lothringen bitte ich, daß sie recht vertrauensvoll in die neuen
Verhältnisse hineintreten und sich " r klar machen, wie die Siluation ei-
gentiich liegt. Ver egenwärtigen Sie sich, daß wir in Ruhe und Frieden
lebten, daß Kaiser Napoleon uns die Pistole auf die Brust sette, uns ge-
zwungen hat, unser Vaterland zu vertheidigen. Auch unfrer Söhne Blut ist