Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Italien. (März= 29 — April 3.) 433 
das Leben des Cabineks in der Hand hatte und wahrscheinlich nur deß- 
halb fristete, weil es Beiden rathsamer erschien, den eigenen Einfluß durch 
eine demnächst unvermeidliche Modification des Cabinets geltend zu machen, 
statt eine Krise herbeizuführen, bei der die eigenklichen Sieger vielleicht nicht 
klar genug hervorgetreten wären. Der Kern sämmtlicher Reden drehte sich 
um einen Hauptpunkt, um die Aufrechterhaltung der von der Kammer durch 
das Votum vom 7. Juli vorigen Jahres, zur Zeit des Cabinets Cairoli, 
beschlossenen Aufhebung der Mahlsteuer, welcher jedoch der Senat bis jetzt 
seine Zustimmung nicht ertheilt hat. Aus dem Berichte der Finanzcommission, 
welcher von dem Abgeordneten Corbetta (Minorität) erstattet wurde, ergibt 
sich, daß die rosigen Vorauschläge von den wirtlichen. Verhällnissen nicht be- 
stätigt werden und daß trotz der mit 1 2 Lire bezifferten Ein- 
nahmen der vom früheren FKernmitntt * Doda vorausgesehene 
Ueberschuß von 60 Millionen, auf dessen Basis die Abschaffung der Mhl 
stener fußte, nicht vorhanden ist und sich im günstigsten Falle auf 14 Mill. 
beläuft. Angesichts dieses Umstandes hielt es die Rechte für bebolen, augen- 
blicklich gar teine Resolution der Kammer herbeizuführen, sondern die Er- 
örterung der Finanzfrage hinauszuschieben bis zu dem im nächsten Monat 
bevorstehenden Finanz-Exposé des Ministers Magliani. Natürlich wollte 
Wan das Einnahme-Budget inzwischen bewilligen. Die Fraction Cairoli 
aber, welche die küdehe seta der Abschaffung der Mahlsteuer als Ehren- 
3 der Partei ansieht und welche dem Cabinet durch ihre numerische Starie 
  
Besorgniß als alle übrigen Gruppen einflößen mußte, wollte dem 
Cabinet ihre Kraft fühlen lassen, zog mit Gewalt die Mahl leuerfrage in 
die Discussion und machte aus ihr die Basis ihrer Taktik, welcher sich 
Ministerpräsident Depretis sügen mußte. So kam die Tagesordnung 1 
Crispi zu Stande, welche besagt, daß „das Haus Act nimmt von den 
klärungen der Regierung, daß es an seinen früheren Beschlüssen über die 
Mahlsteuer Phask und daß es die übrigen Reformen, welche die Linke vor- 
geichlagen, Lr Ausführung bringen will,“ wofür dann die ganze Linke 
gegen echte stimmt. Zieht man inbeß die Summe der dreitägigen 
#uen dernch so befindet man sich vor folgendem Resultat: Die Vermin- 
derung der Einnahmen durch die Aufhebung der Mahlsteuer (80 Millionen 
jährlich) steht nunmehr mit Gewißheit bevor. Als ungewissen Ersatz fü 
diesen Ausfall versprach Depretis fünf neue Zoll-, resp. Steuergesetze, we “7 
sonderbarer Weise gerade auf den Bänken der Linken mit Murren aufge= 
nommen wurden. Diese Gesetzentwürfe sind folgende: 1. Erhöhung der Ab- 
gaben auf den Zucker; 2. eine Erweiterung der Geschäfts= (registro) und 
Stempeltaxe; 3. eine Besteuerung der Alkohol-Fabriken; 4. eine Revision 
des Zolltarifes, resp. Erhöhung der Zölle auf einzelne Gegenstände des- 
selben; 5. eine Erhöhung des städtischen Octrois. Ob diese neuen Steuern 
hinreichen werden, die Mahlsteuer zu nricten, und ob die Kammern, von 
denen 1un Volk eine Steuererleichterung und nicht nur eine Transformation 
derselben erwartet, dieselben bewilligen werden, wird umsomehr bezweifelt, 
als die beklagenswerthen Zustände der Municipal-Finanzen der größten 
Städte Italiens täglich ingender an die Staatshilse appelliren. Von 
einer homogenen Majorität aber, mit welcher eine Regierung ruhig mit Er- 
olg arbeiten könnte, ist keine Rede: Die Linke selbst ist uneiniger, denn je 
in den politischen Cardinalfragen. 
29. März. Der König begnadigt Passanante zu lebensläng- 
licher Zuchthausstrafe. 
3.— 4. April. Kammer: Interpellation und Debatte über 
Schulthess, Europ. Geschichtslalender. XX. Bd. 28 
  
 
	        
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