Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Die Schweiz. (Jan. 29.) 447 
eben so ist es der Regierungsrath, welcher ohne Mitwirkung irgend einer 
anderen Behörde auf Grund der genannten Zeugnisse dem Geistlichen den 
Eintritt in den bernischen Clerus gewährt oder verweigert. Will ein Geist- 
licher, der bereits anderswo angestellt gewesen ist, in den Kirchendienst des 
Kantons Bern eintreten, so hat er sich über bürgerliche Ehrenfähigkeit und 
gute Sitten, „über anderwärts mit gutem Erfolg bestandene theologische 
Staatsprüfung und entsprechende Vorstudien", endlich „über mehrjährige 
vorzügliche Wirksamkeit in der Seelsorge oder im Lehramte" auszuweisen. 
In einem solchen Fall entscheidet der Regierungsrath nach dem Gutachten 
der Prüfnngscommt sion, ob dem Candidaten die bernisch- Staatsprüfung 
erlassen sei oder nicht. 2. Der Pfarrer wird durch die Kirchgemeindever- 
sammlung gewählt. Die Ausschreibung einer vacanten Pfarrstelle erfolgt 
durch die Staatsbehörde. Die Anmeldungen müssen der Staatsbehörde ein- 
gereicht werden. Die Staatsbehörde übermittelt die Candidatenliste, auf 
welche sie kaere ih nur wahlfähige Bewerber gesetzt hat, dem betreffenden 
Kirchgemeinderath. Ist der Kirchgemeinde keiner der Angemeldeten genehm, 
o kann sie „im Einverständniß mit dem Regierungsrath die Stelle auf ein 
Jahr mit einem Verweser beseyen". 3. Der Negierungsrath des Kantons 
estätigt die getroffene Wahl. Zu diesem Behuf ist das Wahlprotokoll dem 
Regierungsrath einzufenden. Dieser untersucht, ob bei der Wahl keine „Vor- 
schri isten der Staatsgesetzgebung oder des (vom Regierungsrath genehmigten) 
Kir hgemeindereglements- verletzt worden sind. Ist das nicht der Fall, so 
muß die Anerkennung der Wahl ausgesprochen werden. Das sind die Vor- 
schriften des bernischen Rirchengeseen vom 30. October 1873. Eine der- 
artige Pfarrwahl ist bekanntlich von Pius IX. bei Strafe der von selbst 
gintetenden gröseeren Excommunication für Wähler und Gewählte unter- 
sagt worden. Demgemäß weigerten ch seit 1873 im Kanton Bern die rö- 
mischen Geistlichen, sich nach Maßgabe des Kirchengesetzes um Pfarrpfründen 
zu bewerben; die päpstlich aibab simmfhian Gemeindemitglieder aber 
ließen sich au den meisten Orten vom Stimmregister streichen und betheiligten 
sich weder au den Wahlen der Kirchgemeinderäthe noch an denen der Pfarr 
geistlichen. Seit einigen Monaten ist unn aber dieses Verhalten zansi 
aufgegeben worden. Obwohl keine einzige Bestimmung des Kirchengesetzs 
geändert worden ist, ließen sich dennoch in jüngster Zeit fast überall 
Ultramontanen wieder in die Stimmregister eintragen, wählten in gesehlicher 
Weise die Kirchgemeinderäthe und leisteten den Eid auf das Kirchengesetz. 
Die Geistlichen, die bereits im berulschen Kirchendienst standen, bewerben sich 
um die Pfarreien, lassen sich wählen, rrtlären schriftlich, daß sie die nach 
Mabgabe des Kirchengesehes auf sie gefallene Wahl annehmen, lassen si 
von der Regierung bestätigen, und römisch- katholische Priester, welche no 
nicht im bernischen Kirchendienst standen. suchen um Aufnahme in denselben 
nach. Kurz, der Culturk *§& ist zu Ende. Offenbar könnte Leo X en 
Ultramontanen in Preußen die Unterwerfung uuse 6 Staatsgesetze eben 
so gut gestatten, wie den Ultramontanen in der 
26. Januar. (Tessin.) Der in seiner Magrgeit ultramon= 
tane Große Rath beschließt auf den Antrag der Regierung mit 48 
gegen 18 Stimmen, den 3 Kapuzinerklöstern in Lugano, Bigorio 
und Faido, welchen seit dem Jahre 1853 die Aufnahme von No- 
vizen untersagt war und die sich deßhalb auf dem Aussterbeetat 
befanden, jenes Recht wieder zu ertheilen. Das Gesetz soll mit 
seiner Promulgation in Kraft treten. Es fragt sich nur, was der 
Bundesrath dazu sagen wird. 
  
  
 
	        
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