458 Die Schweiz. (Aug. 30 — Ocl. 12.)
man eine Compagnie zum Schutze des Gerichtssaals aufbieten müssen.
Der Zeitpunct für eine neue Vundesintervention scheint immer näher
zu rücken. In der deutschen und französischen Schweiz wird das
VBerdict sozusagen durchweg für ein schmähliches Partei-Urtheil der
im Kanton Tessin herrschenden ultramontanen Partei angesehen.
Der Staatsanwalt haite alle liberalen Geschwornen recusirt.
30. August. Die sog. Nationalbahn wird als infolvent an
den Meistbielenden versteigert. Da nicht nur die reiche Stadi
Winterthur, sondern eine große Zahl nicht reicher Gemeinden der
Kantone Thurgau, Zürich und Nargan an der Bahn mit verhält-
nißmäßig starken Summen betheiligt sind, so ist das Ereigniß für
diese Gegenden ein wahres Nalionalunglück.
23. September. Der Versuch, die Zollerhöhungen auf Tabak
und Branntwein der allgemeinen Volksabstimmung zu unterziehen,
ist gescheitert. Statt 30,000 sind nur etwa 20,000 Unterschriften
dafür aufgebracht worden.
8. Ockober. (Genfs.) Großer Rath: beschließt nach einer
Discussion, die sich beinahe durch drei volle Sitzungen gezogen, mit
68 gegen 17 Stimmen: es sei die Frage der Trennung von Staat
und Kirche auf den Monat Mai des nächsten Jahres zu vertagen.
Der Antrag, die Angelegenheit auf unbestimmte Zeit zu verschieben,
wird dagegen mit 68 gegen 28 Stimmen von der Hand gewiesen.
Die gegenwärtige Mehrheit im Großen Rathe hat damit die Erklä-
rung abgegeben, daß sie — ewenigstens zur Zeit — nicht im Stand ist, die
verwickelten und auf die Dauer unhaltbaren kirchlichen Verhältnisse der
kleinen Republik definikiv zu ordnen, daß sie es gegenwärtig nicht wagt, an
diese Aufgabe ernstlich heranzutreten. Darum wird die Frage auf die lange
Bank geschoben, verschoben, bis wenigstens die Staatsrathswahlen vorbei
und der Culturkämpfer Carteret und seine Anhänger von den grünen Sesseln
heruntergedrängt sind. Aber im Mai, oder auch später, wird der Moment
doch kommen, wo der Große Rath erklären muß, ob er einen entscheidenden
Schritt vorwärts thun oder bei den gegenwärtigen Verhältnissen slehen
bleiben oder gar zu den Zuständen zricklehren will, wie sie vor dem
Culturkampfe waren. Dann wird aber auch die gegenwörtige Anti-Carterel'-
sche Mehrheit wieder in die einzelnen Worteien zerfallen, aus denen sie zu-
sammengeschweißt ist; haben sich doch d iese Parteien nur verbündet, um das
Regiment Carleret zu süürgen. Denn Niemand wird im Ernste glauben,
daß Leute wie ein Karl Vogt auf die Dauer mit streng calvinistischen Ver-
tretern des alten Genf uns trdie Anhängern des exilirten Mermillod
unter einer Fahne marschiren können. Die Allianz wird also die Macht
der Guliurkämpfer zu brech ben vermögen, nachher aber scheiden sich die Straßen,
und das gemeinsame Ziel verschwindet.
12. October. In Luzern findet eine von Zürich aus angeregte
Versammlung schweizerischer Industriellen zur Anbahnung einer