588 Uebersicht der polilischen Enkwichlung des Jahres 1879.
nichts gelernt und nichts vergessen haben, die Thore Frankreichs
wieder zu öffnen, wenn man nicht fürchten wollte, daß der rasende
Tanz alsbald wieder von Neuem beginne. Das Ministerium konnte
darüber keinen Augenblick im Zweifel sein. Es legte daher den
Kammern am 11. Februar ein Amnestiegesetz vor, das diese mit
dem Wiedererwerb aller bürgerlichen und politischen Rechte bis zum
5. Juni in die Hand des Präsidenten und der Regierung legte, aber
ausdrücklich alle Häupter der Commune, sowie Alle, welche sich
neben den politischen auch gemeiner Verbrechen schuldig gemacht
hatten, davon ausschloß. Louis Blanc von der äußersten Linken
stellte den Gegenantrag, aber Kammer und Senat genehmigten die
Vorlage mit großen Mehrheiten. Präsident Grévy machte von der
ihm übertragenen Vollmacht den liberalsten Gebrauch: er begnadigte
bis zum 5. Juni nicht weniger als 3464 Verurtheilte, worunter
über 2000 solcher, die in contumatiam verurtheilt worden waren.
Es blieben nur mehr etwa 1000 Personen übrig, bei denen an Be-
gnadigung größtentheils auch nicht einmal gedacht werden konnte.
Schon, was geschehen, war nicht ohne Bedenken. Die Begnadigten
kehrten alsbald nach Frankreich zurück und zerstreuten sich über das
ganze Gebiet desselben in ihre resp. Heimath. Aber nur ein Theil
derselben fürchtete, wie gebrannte Kinder, das Feuer und verlangte
nichts besseres, als wieder zu der früheren Arbeit zurückzukehren
und fortan ruhig im Schooße ihrer Familien zu leben. Die Ra-
dicalen benützten die Rückkehr der Verbannten zu allerlei Demonstra-
tionen und zu fortwährenden Agitationen in und außer der Kammer
und Viele der Zurückgekehrten unterstützten sie darin nach Kräften.
So erzeugte sich eine gewisse Unruhe in den Gemüthern und ein
Wiederaufleben sogialistischer und communistischer Ibeen in den
Massen, denen die gemäßigt republikanische Partei in der Kammer
lange nicht scharf und energisch genug entgegentrat, gleich als ob
sie die äußerste Linke fürchte oder ihrer zur Befestigung der Re-
publik bedürfe. So ging die radicale Agitation das ganze Jahr
durch fort und die radicale Partei war zu Ende desselben unzweifel-
haft stärker, als sie es zu Anfang desselben gewesen war. Wenn
es so fortging, mußte der Radicalismus zu einer wirklichen Gefahr
Tie Be, heranwachsen. Nicht minder gefährlich war die zweite Frage, die-
Ain. jenige der Purificirung des Beamtenkörpers. Auch hierin war das
cation-Begehren der republikanischen Partei bis auf einen gewissen Grad
ein nicht unbilliges. Während der Zeiten der Nationalversamm-