608 Nebersicht der polilischen Eulwichlung des Jahres 1879.
irgend eines Vorbehaltes. Aber so glatt, wie wenn nichts geschehen
wäre, sollte das Ereigniß doch nicht ablaufen. Am 8. eröffnete
der Kaiser die Session mit einer Thronrede, in der er seiner Befrie-
digung über den Wiedereintritt der Vertreter seines geliebten König-
reichs Böhmen berechtigten Ausdruck lieh, aber zugleich beifügte,
daß derselbe „unbeschadet ihrer Rechtsüberzeugung und ungeachtet
der Verschiedenheit ihrer Anschauungen“ erfolgt sei. Diese Wendung
erschien mit Fug nicht ganz unbedenklich, zumal da man bald er-
fuhr, daß dieser Passus von der Regierung mit den Czechen vorher
vereinbart worden sei. Der Wiedereintritt und der Eid auf die
Verfassung war also zwar bedingungslos, aber doch nicht ohne
Vorbehalt, doch nicht ohne Rückgedanken erfolgt, die Mißtrauen
erregen mußten. Schon am folgenden Tage wurde denn auch in
beiden Häusern eine förmliche „Verwahrung“ der Czechen verlesen,
in welcher wieder viel von der „staatsrechtlichen Stellung des König-
reichs Böhmen und der böhmischen Krone“ die Rede war und daß
„sie es vielmehr für ihr Recht und ihre Pflicht erachteten, für dieselbe
einzustehen und sich auch für die Zukunft wie bisher an die Rechte
und Ansprüche zu halten, welche auf dieser staatsrechtlichen Stellung
begründet seien.“ Eben über diese angeblichen „Rechte und An-
sprüche“ war die Zeit und war namentlich die Verfassung hinweg-
geschritten und man hätte glauben sollen, daß die Czechen
durch ihren Eintrit in den Reichsrath auf Grund der bestehenden
Verfassung und durch ihren auf eben diese Verfassung bedingungs-
los geleisteten Eid die vollendete Thatsache auch ihrerseits als solche
anerkannt hätten. Das war also doch nicht der Fall und die
Czechen hatten sich also wenigstens eine Art Rückzugspforte offen
behalten. Trotzdem wurde die Verwahrung im Abgeordnetenhaufe
schweigend hingenommen; im Herrenhause dagegen, in dem die Ver-
fassungspartei die entschiedene Mehrheit besaß, erklärte der frühere
Ministerpräsident v. Schmerling sofort und nett und vollkommen
zutreffend, daß diese Verwahrung „weder practisch noch rechtlich wirk-
sam sein könne, da der Kaiser die Unterzeichner derselben auf Grund
des Staatsgrundgesetzes einberufen habe und zwar nicht als Ver-
treter Böhmens, sondern als solche des gesammten Reiches.“ Selbst
dabei blieben indessen die Czechen nicht stehen. Um wenig später
überreichten sie dem Kaiser eine ausführliche Denkschrift, in der sie
ihre vorläufigen dringenden Wünsche zusammenfaßten. All das
konnte nur den einen Sinn haben, daß die Czechen, die sich endlich