Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Aebersicht der polilischen Entwichlung des Jahrts 1879. 609 
hatten überzeugen müssen, daß sie außer der Verfassung stehend 
gegen dieselbe nichts vermöchten, in den Rahmen derselben nur ein- 
getreten waren, um innerhalb derselben und gegen ihren Sinn und 
Geist von der Regierung auf dem Verordnungswege ihre Ziele zu 
erreichen. Es war die Frage, ob das Ministerium Taaffe und na- 
mentlich Graf Taaffe selbst sich dazu hergeben würden. Das hing 
offenbar von dem weiteren Gang und namentlich von der Gestaltung 
der Dinge im Reichsrathe ab. Diese aber gestaltete sich für die 
Verfassungspartei zunächst in der That nicht günstig und bot den 
Czechen und Föderalisten Anlaß zu großen Hoffnungen. Zunächst 
Das 
Mini- 
erium 
und die 
stellte es sich bei der Präsidentenwahl des Abgeordnetenhauses un-Parleien 
zweifelhaft heraus, daß die Verfassungspartei die Mehrheit ver- 
loren hatte, und daß die Rechte um einige Stimmen überwog, wenn es 
auch nur ein Dutzend oder selbst nur ein halbes Dutzend sein sollte. 
Daun wurde in beiden Häusern zur Wahl der Adreßcommission 
geschritten. Im Herrenhause gehörte die Mehrzahl derselben der 
Verfassungspartei an, im Abgeordnetenhause dagegen wurde sie aus 
9 Föderalisten und nur 6 Verfassungstreuen zusammengesetzt. Noch 
bevor jedoch die Antwortadresse zur Verhandlung kam, vollzog sich 
die Fractionsbildung im Abgeordnetenhause in der Weise, daß die 
Verfassungspartei in zwei Clubs, demjenigen der Liberalen und dem 
der Fortschrittspartei, 145 Mitglieder zählte, die Rechte dagegen in 
3 Clubs, dem der Czechen, dem der Polen und dem der Hohen- 
warthschen Föderalisten, deren 168. Daneben gab es noch 40 Wilde, 
die aber nicht etwa eine Art Mittelpartei bildeten oder auch nur 
den Kern einer solchen abgeben mochten: die meisten zögerten bloß 
und schlossen sich später bald der einen oder der andern der beiden 
großen Parteien an. Die Stellung des Ministeriums Taaffe war 
offenbar eine fehr schwierige. Vorerst nahm es dieselbe, wie es 
sagte, „über den Parteien“ ein, verließ aber diese Stellung „über 
den Parteien“ schon bei der Frage der Antwortsadresse. Das Ober- 
haus sprach sich in der Seinigen maßvoll, aber entschieden gegen 
die czechischen Ansprüche aus; dem Abgeordnetenhause lagen zwei 
Entwürfe vor, einer im Sinne der Rechten und einer im Sinne der 
Verfassungspartei. Graf Taaffe sprach sich Namens der Regierung 
gegen die Adresse des Oberhauses und für den Adreßentwurf der 
föderalistischen Rechten des Abgeordnetenhauses aus, welche letztere 
denn auch mit 176 gegen 162 Stimmen angenommen wurde. 
Sämmtliche dem Abgeordnetenhause angehörende Minister stimmten 
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XX. Vd. 39
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.