Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Nebersicht der polilischen Eutwichlung des Jahres 1879. 611 
oder jener Form werde entsprechen müssen. Hier aber liegt die aus- 
große Gefahr für Oesterreich und jedes engere Verhältniß zu Deutsch-sichten. 
land: ein föderalistisches Oesterreich oder auch nur ein auf Grund 
der bestehenden Verfassung im Sinne und Geist der föderalistischen 
Partei regiertes Oesterreich ist ein überwiegend flavisches oder im 
Sinne und nach den Aspirationen der Slaven regiertes Oesterreich 
und mit einem folchen kann Deutschland nie und nimmer zusammen 
gehen. Oesterreich befand sich also Ende 1879 auf einer Bahn, die, 
abgesehen von der Wahrscheinlichkeit eines erbitterten inneren Kam- 
pfes, der das Reich in seinen Grundfesten erschüttern muß, der kaum 
von Bismarck abgeschlossenen Allianz zwischen Deutschland und 
Oesterreich-Ungarn nicht förderlich sein konnte. 
Auch in Deutschland stand, wie sich schließlich unzweifelhaft Leuucch- 
herausstellte, das Schutzzollsystem, das der Reichskanzler unglücklicher 1und. 
Weise mit seinen umfassenden finanziell-politischen Plänen für das 
Reich und sein Verhältniß zu den Einzelstaaten verquickt hatte, einer 
weiteren Ausbildung und Festigung der Allianz mit Oesterreich- 
Ungarn als ein fast unübersteigliches Hinderniß entgegen. Die 
Session des Reichstags von 1879 hatte, wie wir gesehen, mit der 
Annahme dieses Schutzzollsystems, der Finanzzölle und der erhöhten 
Tabaksteuer geschlossen. Damit mochte das erste und nächste Ziel 
des Reichskanzlers und der Majorität des Reichstags, die Beseiti- 
gung der Matricularumlagen und eine gewisse Erleichterung der 
Einzelstaaten, eine größere Unabhängigkeit des Reichs von diesen 
erreicht sein oder wenigstens nach einiger Zeit erreicht werden, wenn 
erst das neue System in Gang gebracht und in seinem vollen Er- 
trag eingetreten sein würde. Allein damit war erst der kleinste 
Theil des reichskanglerischen Planes verwirklicht. Wenn es, wie 
der Reichskangler beabsichtigte, dahin kommen sollte, daß das Reich 
aus den indirecten Steuern so viel einnehme, daß es nicht nur der 
Matrikularbeiträge entbehren, sondern aus den Ueberschüssen über 
seine eigenen Bedürfnisse den Einzelstaaten so viel herauszahlen 
könne, um sie in den Stand zu setzen, auf die directen Steuern ganz 
oder doch zum größten Theile verzichten zu können, so mußten noch 
sehr viel mehr indirecte Steuern bewilligt werden. Man fah daher 
allgemein fürs künftige Jahr neuen Steuervorlagen der Reichs- 
regierung mit ziemlicher Sicherheit entgegen, obgleich es immerhin 
zweifelhaft war, ob selbst dieser Reichstag sich dazu herbeilassen 
werde, weitere indirecte Stenern und in solchem Umfange zu be- 
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