Die
Eisen-
bahn-
üüter-
tarife.
612 Nebersichl der polilischen Eulwichlung des Jahres 1879.
willigen, war doch schon die Brausteuervorlage vorläufig abgelehnt
worden oder doch unerledigt geblieben. Aber auch dabei blieb der
Reichskanzler nicht stehen. Auch seinen Reichseisenbahnplan hatte
er durchaus nicht aufgegeben, wenn er auch zunächst mit demselben
vor dem Widerstande der Mittelstaaten hatte zurückweichen müssen.
Um ihn im wesentlichen doch zu verwirklichen, hatte er die Frage
nur anders aufgefaßt und zwar gleichzeitig von zwei Seiten her.
In Preußen betrieb er die Verstaatlichung der großen Privateisen-
bahnen, um ein geschlossenes Staatseisenbahnsystem zu schaffen, das
im Stande wäre, nach allen Seiten entscheidend einzuwirken und einzu-
greifen und den gesammten Eisenbahnverkehr Deutschlands nach seinem
Willen zu lenken. Zugleich aber legte er schon unter dem 12. Februar
dem Bundesrath den Antrag vor, das gesammte Eisenbahngütertarif-
wesen der deutschen Eisenbahnen von Reichswegen durch Gesetz zu re-
geln und zu diesem Behufe einen eigenen Ausschuß niederzusetzen. Die
ungeheure Tragweite dieses Antrags konnte keinen Augenblick zweifel-
haft sein. Zunächst hieng derselbe mit dem vom Reichskanzler be-
triebenen Schutzzollsystem zusammen. Das Schutzzollfystem ist im
Princip nichts anderes als eine gewisse Regelung der Production
und des Absatzes der Tauschwerthe von Staatswegen. Eine folche
üben aber auch die großen Eisenbahnlinien durch ihre Differenzial-
tarise aus, allerdings nicht von Staatswegen, sondern im Interesse
ihrer Einnahmen und diese Einwirkung ist zum Theil eine viel be-
deutsamere, als die vom Reichskanzler ins Auge gefaßten Schutz-
zölle ausüben mochten; für viele Artikel und für gewisse Gegenden
konnten die Schutzzölle des Staates durch die Differenzialtarife der
Eisenbahnen rein illusorisch gemacht werden. Die Differenzialtarife
sind eine finanzielle und unter Umständen auch eine politische Macht,
an welche bei der Concessionirung der Eisenbahnen gar nicht gedacht
worden war und die der Staat auf die Dauer allerdings unmöglich
in der Hand der Eisenbahnen lassen kann. Der Reichskanzler sprach
denn auch sofort in der Begründung seines Antrags den ganz rich-
tigen Grundsatz aus, daß es „seines Erachtens in der Aufgabe der
verbündeten Regierungen liege, diesen Uebelständen nach Möglichkeit
abzuhelfen und durch Reform dahin zu streben, daß deutsche Güter
auf dentschen Bahnen unter allen Umständen mindestens eben so
günstig behandelt und nicht theurer gefahren werden als fremde.“
Aber seinem so weit berechtigten Verlangen standen zwei Momente
von nicht minderem Gewichte entgegen. Einmal nämlich sahen die