Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

616 Kebersicht der politischen Enlwichlung des Jahres 1879. 
bei denen überhaupt im preußischen Landtage die conservativeren 
Elemente weit das Uebergewicht hatten, auf seine Seite und die 
Vorlage wurde am 12. December mit 226 conservativen und na- 
tionalliberalen gegen 155 Stimmen des ultramontanen Centrums 
und der Fortschrittspartei genehmigt unter Beifügung einer Reso- 
lution betr. gewisser Garanticen, bezilglich welcher die Regierung 
später besondere Gesetzentwürfe vorzulegen versprach. So hat der 
Reichskanzler auch im preußischen Landtag einen wesentlichen Punkt 
seines ganzen Plans glücklich durchgesetzt und zudem noch ohne be- 
sondere Anstrengung oder besondere Kämpfe. 
Die Inzwischen war mit Oesterreich über eine Neugestaltung der 
wirth= gegenseitigen Zollverhältnisse unterhandelt worden und die öffentliche 
* 5. Meinung wenigstens in Deutschland sah dem Ergebnisse dieser Unter- 
iird handlungen mit nicht geringer Spannung entgegen. Es lag auf der 
#essern Hand, daß das neue Bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich- 
d Ungarn eine ganz andere Festigkeit darbot, wenn es auf einer mög- 
92 lichst engen Verflechtung der materiellen Interessen beider Länder, 
Faunnrals wenn es nur auf der Versländigung beider Regierungen beruhte. 
Die Regierungen wechseln, die Interessen bleiben. Der deutsche 
Reichskanzler hatte daher schon im September in Wien der öster- 
reich-ungarischen Regierung seine kräftigste Unterstützung zugefagt, 
diese Beziehungen in einem beide Theile möglichst befriedigenden 
Maaße zu gestalten, befriedigender, als es durch die Uebereinkunft 
von 1878 der Fall gewesen war. Das wenigste war also wohl, 
daß man den Abschluß eines neuen möglichst umfassenden Handels- 
vertrages erwartete. Die öffentliche Meinung ging sogar weiter. Da 
ganz befondere, ausnahmsweise Begünstigungen Oesterreichs von Seite 
Deutschlands kaum möglich waren, weil der Frankfurter Friedens= 
vertrag Frankreich dieselben Begünstigungen zum voraus gesichert 
hatte, so dachte man in Deutschland und in Oesterreich zugleich an 
eine vollständige Zolleinigung, an einen neuen Zollverein, in wel- 
chen möglicher Weise auch Rumänien und Serbien einbezogen wer- 
den könnten, was aus politischen Gründen, wie man wissen wollte, 
eine Lieblingsidee Andrassy's war. Anfangs Oktobers fand daher 
eine freie Conferenz von Vertretern der hervorragendsten Industrie- 
zweige in Oesterreich-Ungarn und in Deutschland in Wien statt, 
welche alles Ernstes die Frage in Erwägung zog, ob, bei hart- 
näckiger Weigerung Frankreichs, eine Aenderung jener Clausel zu- 
zugestehen, die Abschließung eines solchen Zollvereins möglich sei,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.