Kebersicht der polilischen Entwichlung des Jahres 1879. 617
ohne einzelnen österreichischen Industriezweigen ganz unerschwing-
liche Opfer aufzulegen oder sie gar zu Grunde zu richten. Bei
diesen Besprechungen stellte sich nun heraus, daß eigentlich nur
ein Gewerbszweig, die Eisenindustrie, sich in dieser Gefahr befinde
und daß nur noch ein anderes Verhältniß als schwer zu über-
windendes Hinderniß zu betrachten sei — das in Oesterreich-Ungarn
herrschende Tabakmonopol. Diese Sachverständigen resp. Interessenten
fanden indeß, daß jenes Hinderniß kein unüberwindliches sein würde,
daß es vielmehr vielleicht möglich sein würde, in einem eventuellen
Vereinstarif den Zoll für die Einfuhr russischen Getreides so hoch zu
normiren, daß Nußland gezwungen sein würde, Concessionen zu
machen, und gerade für die Eisenindustrie möglicher Weise ein ganz
ungeheures Absatzgebiet gewonnen werden könnte, während ein Zoll-
verein mit Oesterreich dem Reichskanzler vielleicht Gelegenheit böte,
seiner Lieblingsidee, dem Tabakmonopol, auch in Deutschland Ein-
gang zu verschaffen. In der That hätten wohl alle besonnenen
und practischen, nicht bloß theoretischen, Freihändler für den Fall
eines Zollvereins mit Oesterreich-Ungarn die Hand selbst zu einer
Erhöhung einer Anzahl von Schutzzöllen geboten, die sie eben noch
im Reichstage mit aller Kraft aufs äußerste bekämpft hatten. Es
ist kein Zweifel, daß einem Zollverein mit Oesterreich zahlreiche
und große Schwierigkeiten entgegenstanden, aber es ist doch die Frage,
ob diese Schwierigkeiten sich nicht hätten überwinden lassen, wenn
man der Frage ernstlich näher getreten wäre. Der deutsche Reichs-
kanzler dachte indeß allem Anscheine nach nicht einmal darau. Er
wollte auf die deutschen Schutzzölle, die er so mühsfam durchgesetzt
hatte, und deren muthmaßliche Erträge unter keinen Umständen
verzichten, wie er denn auch dem Abschluß neuer Handelsverträge
abgeneigt ist, da auch sie diese Erträge nothwendig schmälern müßten.
Es scheint, daß der Reichskanzler damals in Wien lediglich an Eisen-
bahntarifbegünstigungen gedacht hatte, die indeß z. Z. noch nicht
wohl möglich waren, jedenfalls vorerst noch nicht in seiner Macht
standen. Aber wäre er damit, wenn es möglich gewesen wäre, nicht
wieder in das Differenzial-Tarifsystem zurückgefallen, das er in
seiner Denkschrift an den Bundesrath so lebhaft bekämpft hatte?
Die ersten Unterhandlungen über den Abschluß eines österreich-
deutschen Handelsvertrages scheiterten daher gänzlich und die preußi-
schen Unterhändler kehrten Ende November unverrichteter Dinge
nach Berlin zurück. Erst am letzten Tage des Jahres, unmittelbar