618 Nebersicht der politischen Enlwichlung des Jahres 1879.
vor dem Ablauf der Convention von 1878, kam eine neue Verein-
barung zu Stande. Die österreichischen und die deutschen Schutz-
zöllner gaben sich dabei die Hand: Die letzten Begünstigungen, welche
nach jenem bisher noch Oesterreich-Ungarn dem deutschen Reich und
dieses jenem gewährt hatte, wurden ausgemärzt und so eine Decla-
ration vereinbart, wie sie magerer sich kaum hätte denken lassen und
die in Wahrheit auf einen bloßen Meistbegünstigungsvertrag hinaus-
lief, was unter den obwaltenden Umständen wenig oder gar nichts
sagen will. Das neue Schutzbündniß zwischen Deutschland und
Oesterreich-Ungarn ist dadurch jedenfalls nicht gefördert und nicht
befestigt worden.
Der Durch das ganze Jahr gogen sich die Unterhandlungen der
zuim K. preußischen Regierung mit der römischen Curie über eine Beilegung
21 „Kulturkampfes“, die im vorigen Jahre in Kissingen zwischen dem
Reichskanzler und dem päpstlichen Nuntius Masella in München
angeknüpft worden waren, hin. Nachdem sie inzwischen, wie es
scheint, abgebrochen worden waren, wurden sie in diesem Jahre von
dem päpstlichen Runtius Jacobini in Wien, der sich dazu eigens
zum Reichskanzler nach Gastein verfügte, wieder aufgenommen und
nachher in Wien von dem deutschen Botschafter, Prinzen Reuß,
fortgesetzt. Es wurde dem letzteren sogar von Berlin aus ein eigener
Rath für diese spezielle Angelegenheit beigegeben. Zu einer Verein-
barung kam es indeß vorerst nicht und der spezielle Beirath kehrte
vor Weihnachten wieder nach Berlin zurück. Von einem Concordat
war von Anfang an keine Rede gewesen, aber es scheint, daß auch
einer Vereinbarung über einen modus vivondi vorerst unübersteig-
liche Schwierigkeiten entgegenstanden. Ja man hielt es sogar für
wahrscheinlich, daß letztern Falls lediglich eine Verständigung ge-
wissermaßen von Fall zu Fall oder richtiger Zug um Zug von
Preußen ins Auge gefaßt werden könne. Der Reichskanzler ist ohne
Zweifel mit der öffentlichen Meinung geneigt, dem Streite, wenn
es irgend möglich ist, für einmal und hoffentlich für längere Zeit
ein Ende zu machen; aber „nach Canossa“ geht er jedenfalls nicht:
Der Papst muß den ersten Schritt thun, wenn er irgend etwas er-
reichen will.
Aus. Was die Gesammtlage Europas betrifft, so schloß das Jahr
sichten im Ganzen mit befriedigenden Aussichten für die Erhaltung des
Friedens, was namentlich die orientalischen Dinge betraf. Zwar
waren erhebliche Punkte des Berliner Vertrags, die montenegrinische