Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

76 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glirder. (Febr. 20 22.) 
Verantwortlichkeit bewußt gewesen, der Abschluß unter Vorbehalt der Zu- 
stimmung des Reichslage ersolgt. Tie österreichische Negierung habe Dieß 
mit großer Zuvorkommenheit acceptirt. Der Vertrag sei mmnmehr vorgelegt 
worden, und es sei zu wünschen, daß derselbe bald zu Stand komme. Die 
Regierung habe die Interessen des Reiches, seines Handels und Verkehrs 
auch in dem Vertrage möglichst gewahrt. Delbrück gibt zu. daß bezüglich 
der Handelsverträge zwischen Teutschland und Celterchich zuleßzt eine Pothr. 
lage entstanden sei, welcher durch den jetzigen Vertrag abge holfen würde. 
Er beleuchtet die früheren Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und 
Oesterreich, deren hauptsächlichster Werth seit einem Bierteljahrhundert in 
dem Schutz der beiderseitigen Industrien bestanden. Der Hauptwerih des 
Vertrages bestehe darin, daß er die Möglichkeit gewähre, Zzu einem neuen 
Vertrage auf Grundlage der früheren Verträge zu gelangen. Jedenfalls sei 
durch den Vertrag die Gefahr einer Entfremdung gegen Oesterreich, mit 
welchem man so lange in intimen handelepolitischen Verhältnissen gestanden, 
vermieden. Bezüglich des Meistbegünstigunge- Brrhällnisses, des Veredelungs- 
verkehrs,. Behandlung der Leinenwaaren an der schlesischen Grenze und des 
Zolltartells enthalte der Vertrag das möglichst Erreichbare. Hinsichtlich des 
Veredelungsverkehrs wäre es freilich besser gewesen, wenn die österreichische 
Regierung nicht allzuscharfe Maßregeln gegen etwaige Mißbräuche verlangt 
hälle. Telbrück beleuchtet diese Maßregeln im Einzelnen und sucht nachzu- 
weisen, daß dieselben als blosie Verkehrserschwerungen zu betrachten seien. 
Diese in österreichischen offisiosen Kreisen gegen den Veredelungsverkehr herr- 
schende Strömung sei sehr bedauerlich. In Betreff des Verlehrs der Eisen- 
bahnwagen erkenne er im Einklang mit der Deukschrift an, daß das öffent- 
liche Interesse hier das überwiegende sei. Nur bezüglich der Daner des Ver- 
trages habe er sehr ernuste Bedenken. Der Verlrag sei für zu kurze Zeit ab- 
geschlossen und hälte wenigstare bis 1. April oder 1. Juli 1880 ausgedehnt 
werden müssen, sonst lomme man wieder in die Nothwendigkeil, den defini- 
tiven Handelsvertrag erst nachträglich durch den Neichstag genehmigen zu 
lassen, wenn man nicht elwa im Laufe des Dezembers den Reichstag zu einer 
außerordentlichen Session berusen wolle. Richter (Hagen): Der erste Herr 
Redner (Delbrück) hat mit einer Reserve, die ich vollständig verstehe, es unterlassen, 
zu unkersuchen, durch wessen Schuld es gekommen ist, daß die Verhandlungen mit 
Oesterreich schließlich auf einen Punkt kamen, wo man nur vor der Alternative 
stand: entweder dieser dürstige Vertrag oder har kein Vertrag .. Als man bei 
Oesterreich die Verlängerung beantragte, erklärte gerade der Kanzler in dem 
veröffentlichten Brieswechsel mit Herrn v. Varnbüler, daß man eher einen 
autonomen Tarif herbeiführen wolle, bevor man sich auf neue Handelsver- 
Krüge einläßt. Unter der unklaren, widerspruchsvollen Wirthscha. kaft politir 
s Kanzlers in den letzten Jahren kounte ein Tarifvertrag von solcher 
deutung überhaupt nicht neu zu Stande kommen. Auf dem Boden einer An- 
schauung, welche jeden p-freien Eingang lediglich als ein Obfer Deutsch- 
lands betrachtet, Loachsen solche Verträge überhaupt nicht. So ist denn unsere 
Industrie vollständig in das Unsichere gestellt, Kapitalanlagen und Unter- 
nehmungen sind überaus gewagte Geschäfte geworden. Schwer sind unsere 
Ausfuhrinteressen bedroht auch anderen Ländern gegenüber; die deutsche Aus- 
uhr nach Belgien stieg nach belgischer Berechnung von 1865—1877 von 
67 auf 197 Millionen Francs, die deutsche Ausfuhr nach Frankreich in der- 
selben geit von 155 auf 373 Millionen. Die deutsche Ausfuhr ist aber 
wesentlich eine solche von Industrieerzengnissen. Das weiß man im Lande 
noch viel zu wenig, es werden höchstens für 400 Millionen Mark Fabrikate 
in Deutschland eingeführt, dagegen für mindestens 800 Millionen Mark 
Fabrikate aus Deutschland ausgeführt; der überwiegenden Einfuhr von Roh- 
  
 
	        
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