Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

372 Frankreich. (Jan. 24.) 
sie seht sich sogar über die christliche Lehre selbst hinweg, welche die Treu- 
nung der geistlichen von der weltlichen Gewalt anerkennt. Jebt wollen wir 
Alles wieder auf seinen richtigen Platz stellen: Leitung und Aufsicht des 
Unterrichts in den Händen des Staats, die Religion wird dabei nur an 
Sicherheit gewinnen. Heherei ist nicht unsere Sache und sollte uns nicht 
von den Mönnern vom sechzehnten Mai zur Last gelegt werden, welche jede 
Pfarre in Frankreich in eine Wahlagentur verwandelten. Darum, meine 
erren, votiren Sie die Vorlage, entfernen Sie aus dem ünterrichtsrath die 
Elemente der Zwietracht, vollziehen Sie die Trennung des Geistlichen und 
des Weltlichen und bestätigen Sie einen rein Universitären und pädagogischen 
Unterrichtsrath! Ein aus dem Colläge de France, dem naturwissenschaft- 
lichen Museum, den Facultäten, der Normalschule, der Ecole des Chartes, 
der Erole des Beaux-Arts, dem Conservatorium für Kunstgewerbe recrulirter 
Unterrichtsrath bietet doch wahrlich alle Bürgschaften einer zpeteten In= 
stanz!“ Jules Simon: Er könne nicht leugnen, daß er das Gesetz von 
1850. wie vor dreißig Jahren, so noch heute mißbillige; 5 der vorge- 
schlagene Unterrichtsrath entspreche darum noch lange nicht seinem Ideale. 
Der wahre Pädagoge sei Derjenige, der den Menschen und das Leben von 
allen Seiten kennen gelernt habe; daher müßten in dem unterrichtsrath d die 
bervorragendsten Persönlichkeiten aller liberalen Verufe verkreten sein. Der 
om Staate unabhängige Unterricht bedürfe auch einer stärkeren Garantie, 
205 ihm vier noch obendrein vom Minister ernaunte Mitglieder bieten könnten. 
„Nein, nein, schließt er, in Eurem Unterrichtsrath herrscht keine Gerechtig- 
keit, weil der freie Unterricht darin nicht den ihm gebührenden Platz hat!" 
Labonlaye: „Sie betreten eine gefährliche Bahn, wenn Sie wieder in die 
Gewohnheiten des autoritären Staats einlenken. Wie kommt es nur, daß 
jede Opposition die Allmacht des Staates bekämpft und, sobald sie an's 
Ruder gelangt, selber nicht autoritär genug verfahren kann! Ich für meinen 
Theil bleibe ein unverbesserlicher Liberaler und kämpfe für die Fahne: Ge- 
rechtigkeit für Alle, Freiheit für Alle!“ 
24. Jannar. Kammer: Der Kriegsminister General Farre 
legt derselben ein neues Generalstabsgefetz vor. 
Das linke Centrum ist mit der Vorlage ganz und gar nicht einver- 
standen. Der Grundgedanke der Neuerung besteht darin, dem Parlament 
feinen bisbeigen Antheil an der Formation des Generalstabs zu entziehen 
und die Bildung desselben ausschließlich Decreten auheimzugeben, die vom 
Kriegsministerium emaniren sollen. Der General Farre hält die bisherige 
Einrichtung des permanenten Generalstabs für unverträglich mit dem Princip 
einer ministeriellen Verantwortlichkeit, das linke Centrum sieht in derselben 
im Gegentheil einen Damm gegen die Versuche, die der General Farre oder 
eventuelle radicale Nachfolger desselben machen könnten, die Politik in die 
Armee einzuführen. 
21—29. Januar. Kammer: Debatte über die Vorlage der 
Regierung betr. das Vereins= und Versammlungsrecht. Die Kam- 
mer zeigt sich der absoluten Vereinsfreiheit schließlich nicht so hold, 
als sie dazu den Anlauf genommen hatte. Der Antrag Louis 
Blanc's auf Aufhebung aller bestehenden Bestimmungen über das 
Vereins= und Versammlungsrecht wird mit 322 gegen 162 Stim- 
men abgelehnt und das Verbot der regelmäßigen Clubs nach Art. 7 
des Entwurfs mit 268 gegen 199 Stimmen genehmigt.
	        
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