§ 2. Die staatsrechtliche Natur des Königreichs und seine Stellung als Glied des deutschen Reichs. 13
gewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus.“ Diese
Stellung kommt dem König zu kraft eigenen durch Erbfolge begründeten Rechts, nicht in
Folge einer Uebertragung durch den Volkswillen. Die Staatsgewalt ist auch nicht zwischen
dem König und der Volksvertretung getheilt, sondern wird in ihrer Totalität durch den
König, wenn auch in den durch die Verfassung gezogenen Schranken, ausgeübt.
II. Als Glied des Deutschen Reichs ist der Staat Württemberg der einen und un-
theilbaren Souveränetät des Reichs untergeordnet, wogegen der König von Württemberg als
Inhaber der württemb. Staatsgewalt an der Souveränetät des Reichs über das gesammte
Reichsgebiet und an der Ausübung der Reichsgewalt nach Maßgabe der Reichsverfassung
Theil nimmt. Diese Theilnahme an der Herrschaft über das gesammte Reich bildet den
Ersatz für die im Reich aufgegangene Souveränetät der Landesstaatsgewalt. Die äußeren,
mit der Souveränetät bisher verbundenen Ehrenrechte wurden durch diese Veränderung
nicht berührt; da die deutschen Staaten, wenn auch nicht mehr als Einzelne, so doch in
ihrer Gesammtheit souverän sind.
Das Nähere hierüber gehört in das Reichsstaatsrecht ¹). Anderer Meinung ist Sarwey
1 S. 31 ff., welcher die Fortdauer der Souveränetät der Einzelstaaten behauptet; allein mit Unrecht.
Versteht man unter Souveränetät die suprema potestas, so ist gewiß, daß ein Staat, welcher einer
ihm vorgesetzten obersten Gewalt unterworfen, eben deßhalb nicht selbst Inhaber der obersten Staats-
gewalt ist. Nun kann aber mit Grund nicht bestritten werden — und Sarwey selbst (II S. 86)
gibt dies zu — daß in Deutschland die oberste Gewalt beim Reich ist; denn die Kompetenz des
Reichs (R.V. Art. 2—4 und 78) umfaßt nicht nur fast alle Gebiete des Staatslebens, sondern das
Reich regelt auch, soweit die Autonomie der Einzelstaaten besteht, seine Kompetenz gegenüber der
letzteren selbständig und disponirt damit über die Rechtssphäre der Einzelstaaten. Die Reichsgesetze
gehen ferner nicht nur den Landesgesetzen vor, sondern sie verpflichten auch die einzelnen Reichsunter-
thanen unmittelbar, d. h. ohne Vermittelung der Staatsgewalt der Einzelstaaten ²). Ebenso hat das
Reich seine eigenen Organe, welche die oberste Staatsgewalt des Reichs unmittelbar ausüben. Dem Reich
steht nicht nur ausschließlich die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Vertretung Deutschlands
nach Außen, der Befehl über das Heer und die Marine ꝛc., sondern auch die oberste Rechtsprechung zu,
so daß die Ausübung der Staatsgewalt selbst der Jurisdiction des Reichs unterliegt, insofern
die verantwortlichen Organe des Einzelstaats, deren Mitwirkung jede Willensäußerung des letzteren
bedingt (württ. V.U. § 51), wegen Hoch- und Landesverrath gegen den Kaiser oder das Reich der
unmittelbaren Strafgewalt des Reichsgerichts unterworfen sind. An dieser obersten Gewalt des
Reichs wird auch durch die Existenz einiger Reservatrechte begrifflich nichts geändert, im Gegentheil
das Reservatrecht als solches hat gerade die Souveränetät des Reichs zur Voraussetzung ³). — Wollte
man aber behaupten, die Souveränetät sei ein wesentliches Attribut der Staatsgewalt, so müßte man
bei dieser Sachlage zu dem Resultate gelangen, daß der Staatsbegriff auf die Einzelstaaten überhaupt
keine Anwendung mehr finde, daß dieselben zu bloßen Selbstverwaltungskörpern geworden seien.
Dazu liegt aber bei richtiger Begriffsbestimmung und Terminologie kein zwingender Grund vor ⁴).
III. Der Rang des Königreichs Württemberg unter den deutschen Staaten ist jetzt
durch Art. 6 der R.-V. bestimmt, nämlich hinter dem Königreich Sachsen und vor dem
Großherzogthum Baden ⁵).
1) Vgl. Laband in d. Handb. II 1 S. 14 ff. (der 2. Aufl.), R. St. R. 1 S. 67 f. 88 f. 93
und die an ersterem Ort S. 14 N. 1 angef. Litter.
2) S. auch Hänel, I 267 N. 1 vgl. m. Laband I S. 55, 72 ff.
3) Diese Reservatrechte sind auch, um von der Militär-Convention abzusehen, was die haupt-
sächlich in Betracht kommende Gesetzgebung betrifft, nicht erheblich; sie beschränken sich in
Württemberg auf die reglementarischen und Tarifbestimmungen für den internen Verkehr der Posten
und Telegraphen, auf die Regelung des unmittelbaren Verkehrs mit den dem Reiche nicht angehörigen
Nachbarstaaten, ferner auf die Besteuerung des Biers (früher auch des Branntweins).
4) S. Laband, I S. 61 ff., 93 N. 2, Jellinek, Staatsverb., S. 19, Hänel,
I S. 802 f., welcher letztere die Rechtsstellung der Einzelstaaten wieder als Landeshoheit, und die
bisherigen Herrscher als Landesherrn aufgefaßt haben will. Daraus folgt aber nicht, daß dieselben
keine Staaten sind; denn auch die Landeshoheit war, jedenfalls seit dem westphälischen Frieden eine
Staatsgewalt. S. übrigens bezüglich der praktischen Bedeutungslosigkeit der Kontroverse Seydel
im Handb. III 1 S. 44.
5) Ueber frühere Rangstreitigkeiten s. Mohl, I S. 148 N. 4 u. 5.