Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

90 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4). 
4. März. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Reichs- 
kanzler läßt demselben einen Gesetzentwurf zugehen, nach welchem 
mehrere Gewerbe, wie Trödler u. dgl., namentlich aber „die ge- 
werbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten 
und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte, insbesondere die Ab- 
fassung der darauf bezüglichen schriftlichen Aufsätze (Geschäfte eines Con- 
cipienten, Rechtsconsulenten, Volksanwalts u. s. w.) können untersagt werden, 
wenn Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbtreiben- 
den in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb darthun". 
Die Motive dazu besagen: „In vielen Gegenden Deutschlands be- 
treiben Personen, welche weder ihrer Bildung und Befähigung, noch ihrer 
Moralität nach qualificirt sind, die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, 
namentlich durch Abfassung darauf bezüglicher schriftlicher Aufsätze, ohne bei 
dieser Art von Geschäften irgend welcher gesetzlichen Controle und gewerbe- 
polizeilichen Beschränkung unterworfen zu sein. Nach den angestellten amt- 
lichen Ermittelungen gibt es J. B. 6600 solcher Gewerbtreibenden in Preußen: 
von 4947 derselben, über welche behördliche Aeußerungen vorliegen, werden 
2870, d. h. 58 Proc. als unzuverlässig bezeichnet. Ein ähnliches Verhältniß 
hat sich auch in anderen deutschen Staaten ergeben. Diese Personen wissen 
durch falsche Vorspiegelungen das Publikum zu den frivolsten Rechtshändeln 
sowie zur Anstellung der grundlosesten Beschwerden, zur Einreichung un- 
begründeter Klagen u. s. w. zu verleiten, nur um sich dadurch einen Erwerb 
zu verschaffen. Sie lassen sich dabei Preise zahlen, welche die den Rechts- 
anwälten gebührenden Remunerationen weit übersteigen. Neben einer großen 
Belästigung der Behörden erwächst aus solchem Treiben eine beklagenswerthe 
Förderung der Streit- und Prozeßsucht der niederen Volksclassen, die zur 
Verfeindung und bisweilen zum wirthschaftlichen Verfall ganzer Familien 
führt. Eine vollständige Unterdrückung dieser Arten von Gewerben ist nicht 
gut angängig, da der gemeine Mann, der sich keines Rechtsbeistandes be- 
dienen kann, häufig einen Beirath braucht. Es kann sich also nur um Be- 
seitigung der schädlichen Auswüchse handeln. Die Ausübung des in Rede 
stehenden Gewerbes an die Erlangung einer Concession zu knüpfen, erscheint 
deßhalb nicht erforderlich, weil an manchen Stellen die qu. Geschäfte von 
zuverlässigen und befähigten Personen zur Zufriedenheit aller Theile be- 
trieben werden, welche dadurch gezwungen werden würden, sich mit Gesuchen 
an die Behörden zu wenden. Dadurch würden die Behörden mehrfach mit 
einer erheblichen, durch kein Bedürfniß geforderten Arbeit belastet werden. 
Hauptsächlich steht aber der Einführung einer Concessionspflichtigkeit das 
Bedenken entgegen, daß die Ertheilung einer Concession als eine Sanction 
aufgefaßt werden könnte, durch welche die Behörde eine gewisse Garantie für 
die Vertrauenswürdigkeit des Concessionirten übernähme. Auf diese Weise 
könnte sich neben den Rechtsanwälten eine Classe nicht-rechtskundiger Be- 
rather ausbilden, deren Geschäftsbetrieb gleichsam obrigkeitlich sanctionirt 
wäre. Das einzige Mittel, den fraglichen Mißständen abzuhelfen, bleibt die 
in dem Gesetzentwurf in Aussicht genommene Ermächtigung, den gedachten 
Gewerbebetrieb unter gewissen Voraussetzungen zu untersagen. Die Wirk- 
samkeit der beabsichtigten neuen Regelung des Verfahrens ist dabei auf die 
der Behörde in die Hand gegebene Möglichkeit basirt überall da den qu. 
Gewerbebetrieb inhibiren zu können, wenn Thatsachen vorliegen, welche die 
Unzuverlässigkeit des Antragstellers in Bezug auf sein Gewerbe darthun. 
Einerseits wird bei solcher Ordnung der Dinge der Behörde ein gewisser 
Spielraum für das Abgeben ihrer Entscheidungen eingeräumt, andererseits 
  
  
 
	        
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