Da deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4.) 91
läßt sich auf diese Weise ein willkürliches Ermessen dadurch fernhalten, daß
es immer bestimmter Thatsachen bedarf, um eine Ablehnung zu motiviren.
Von der neuen Regelung würden auch die rerpescronn deren Gebahren,
allen Erfahrungen nach, im Interesse ihrer Auftraggeber dringend einer
Ueberwachung bedarf, betroffen werden.
4. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: weist einen Ge-
setzentwurf betr. die Fürsorge für Wittwen und Waisen von Reichs-
beamten an eine Commission.
Der (wieder vorgelegte) Gesetzentwurf betr. die Küstenschiffahrt,
geht gleichfalls an eine Commission.
Fürst Bismarck erklärk, die Vorlage würde nicht eingebracht wor-
den sein, wenn die Bundesregierungen nicht die Ueberzeugung hätten. daß
die für Einbringung der Vorlage im vorigen Jahre maßgebend gewesenen
Gründe noch jetzt vorhanden seien. Man solle die Vorlage nicht dilatorisch
behandeln und in der Commission begraben. Es komme vor Allem darauf
an, über die Sache mit dem Reichstage zu verhandeln und die Beschlüsse
desselben kennen zu lernen. Er sei nicht gegen eine commissarische Vor-
beralhung, aber die Regierungen hätten das Recht, die Ansicht des Reichs-
tags zu erfahren.
Auch ein Gesetzentwurf betr. Besteuerung der Dienstwohnungen
der Beamten geht an eine Commission, jedoch erst nach einer äußerst
erregten Debatte, in welcher der Reichskanzler dem „fortschrittlichen“
Berliner Magistrat einen Vorwurf zuschleudert, der überall einen
peinlichen und dem Kanzler entschieden ungünstigen Eindruck macht.
Znnächst stimmt Fürst Bismarck den Ausführungen Reichenspergers
hinsichtlich des mit Dienstwohnungen getriebencn Luxus bei. Er wünsche
nur da Dienstwohnungen, wo sie unentbehrlich seien. Am Liebsten sähe er
gänzliche Befreiung der Dienstwohnungen von der Miethsteuer, würde aber
dem Amendement nicht entgegen sein, wonach Dienstwohnungen bis zu 20
Proc. des Gehalts eingeschätzt werden könnten. Die Regierung fordere Zölle
und indirecte Steuern auch, um den Gemeinden große Beträge überweisen
und die Aufhebung der Miethsteuer erleichtern zu können. In Paris sei
besser und billiger zu leben als in Berlin, wo vor der Aufhebung der
Schlachtsteuer ebeufalls billiger zu leben gewesen sei. Bismarck spricht eine
Stunde lang und kritisirt in heftigster Weise den Berliner Magistrat. Er
fühle sich fortschrittlich angeweht, wenn er die Namen sage und Runge unter
Verfügungen sehe, die ihm gegenüber die Steuerschraube anzögen. Die
Miethsteuer, fast eine Berliner Specialität, sei die schlechteste Slener, und
doch begiehe der Berliner Magistrat daraus fast die halbe Stadteinnahme.
Bei den weiteren Ausführungen Bismarcks, welche sich gegen Berlin richten,
ruft ein Abgeordneter „schamlos“. Vismarck antwortet: „Schamlos ist ein
ganz unverschämter Ausdruck“ Präsident Goßler hat den Zwischenruf nicht
ehört. Bismarck fortfahrend: „Schamlos" hat ein Abgeordneter gerufen,
der selbst ohne Scham ist, ich hoffe. der Abgeordnete wird sich melden, der
den Ausdruck gebraucht hat, seine Nachbarn kennen ihn ja. Struve (Se-
zessionist) bekennt sich zu dem Zwischenruf. Präsident v. Goßler ruft ihn
zur Ordnung. Bismarck schrteßt alsbald seine Rede. Abg. Struve fragt
den Präsidenten, ob er nicht auch den Reichskanzler rectificiren werde.
Präsident v. Goßler ist rathlos. Fürst Bismarck hilft ihm, indem er