Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 8—10.) 95 
Leben derselben zu verweben. „In dieser Tendenz finden alle sonst vielfach 
auseinanderstrebenden Handlungen des Reichskanzlers ihre Vereinigung. Eine 
starke Armee, ein reich und immer reicher dotirtes Finanzsystem, die un- 
mittelbare Pflege der Volkswohlfahrt durch die Regierung, das sind Hohen- 
zollern'sche Traditionen, die direct aufgenommen werden konnten. Der 
Parlamentarismus aber ist in diesen Traditionen noch sehr neu, man hat 
ihn lang als einen Eindringling betrachtet, die Partei, aus welcher der 
Reichskanzler hervorgegangen ist, warf ihr ganzes Schwergewicht auf seine 
Niederhaltung; Fürst Bismarck hat sich mit ihm ausgesöhnt, als er in ihm 
ein Kampfesmittel schätzte, die Macht und Einheit der Nation zu erringen. 
Ueber den weiteren Beruf des Parlamentarismus hat Fürst Bismarck wenig 
vortheilhafte Ansichten. Auch die führende Stellung, welche in der Gestal- 
tung unseres Parlamentarismus dem Mittelstande, den Gelehrten und den 
Richtern geworden war, widersprach des Fürsten Bismarck politischen und 
socialen Anschauungen. Von allen diesen Gesichtspunkten aus führt der 
Reichskanzler gegen den Parlamentarismus eine Art von Belagerungskrieg, 
jedenfalls hält er die Minderung des parlamentarischen Einflusses und der 
parlamentarischen Rechte für Acte guter Politik, und er nimmt mit, was er 
in dieser Richtung erreichen kann. Seit Fürst Bismarck den Bundesrath 
für seine Pläne immer gefügiger gefunden hat, ist ihm der Reichstag ohne- 
hin als einheitlicher Factor entbehrlicher erschienen."“ 
Budgetcommission: beschließt, im Marineetat auf Ablehnung 
der beiden ersten Raten für den Bau einer neuen Panzercorvette 
(mit 12 [conserv. und ultram.] gegen 12 [lib.]) Stimmen) und einer 
Wiederherstellung der Corvette Nymphe, zusammen im Betrage von 
2,800,000 M.   anzutragen. 
8. März. (Bayern.) II. Kammer: genehmigt die Wahl- 
gesetznovelle nach den Anträgen des Ausschusses mit 148 gegen 1 
Stimme. 
9. März. (Elsaß-Lothringen.) Ein Hirtenbrief des Bi- 
schofs von Straßburg ordnet zufolge einer Ermächtigung des Papstes 
vom 12. Januar l. J. das in den deutschen Diöcesen übliche Kirchen- 
gebet für den Kaiser und das kaiserliche Haus auch für seine Diö- 
cese an. Der Bischof von Metz thut dasselbe, aber nicht in seinem 
Hirtenbriefe, sondern durch ein vertrauliches Handschreiben an die 
Pfarrer. 
10. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Debatte über 
die Münzfrage gelegentlich der Denkschrift der Regierung über 
die Ausführung der Münzgesetzgebung. Schatzamtssecretär Scholz 
erklärt sich gegenüber dem bevorstehenden internationalen Münz- 
congreß in Paris (s. Frankreich) und zwar in directem Auftrage des 
Reichskanzlers einstweilen für Aufrechthaltung des status quo, da 
nach seiner Ansicht in dieser Frage vorerst noch ein non liquet vor- 
liege; die Sistirung der Silberverkäufe habe keine bimetallistische 
Tendenz. 
 
	        
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