Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 8—10.) 95
Leben derselben zu verweben. „In dieser Tendenz finden alle sonst vielfach
auseinanderstrebenden Handlungen des Reichskanzlers ihre Vereinigung. Eine
starke Armee, ein reich und immer reicher dotirtes Finanzsystem, die un-
mittelbare Pflege der Volkswohlfahrt durch die Regierung, das sind Hohen-
zollern'sche Traditionen, die direct aufgenommen werden konnten. Der
Parlamentarismus aber ist in diesen Traditionen noch sehr neu, man hat
ihn lang als einen Eindringling betrachtet, die Partei, aus welcher der
Reichskanzler hervorgegangen ist, warf ihr ganzes Schwergewicht auf seine
Niederhaltung; Fürst Bismarck hat sich mit ihm ausgesöhnt, als er in ihm
ein Kampfesmittel schätzte, die Macht und Einheit der Nation zu erringen.
Ueber den weiteren Beruf des Parlamentarismus hat Fürst Bismarck wenig
vortheilhafte Ansichten. Auch die führende Stellung, welche in der Gestal-
tung unseres Parlamentarismus dem Mittelstande, den Gelehrten und den
Richtern geworden war, widersprach des Fürsten Bismarck politischen und
socialen Anschauungen. Von allen diesen Gesichtspunkten aus führt der
Reichskanzler gegen den Parlamentarismus eine Art von Belagerungskrieg,
jedenfalls hält er die Minderung des parlamentarischen Einflusses und der
parlamentarischen Rechte für Acte guter Politik, und er nimmt mit, was er
in dieser Richtung erreichen kann. Seit Fürst Bismarck den Bundesrath
für seine Pläne immer gefügiger gefunden hat, ist ihm der Reichstag ohne-
hin als einheitlicher Factor entbehrlicher erschienen."“
Budgetcommission: beschließt, im Marineetat auf Ablehnung
der beiden ersten Raten für den Bau einer neuen Panzercorvette
(mit 12 [conserv. und ultram.] gegen 12 [lib.]) Stimmen) und einer
Wiederherstellung der Corvette Nymphe, zusammen im Betrage von
2,800,000 M. anzutragen.
8. März. (Bayern.) II. Kammer: genehmigt die Wahl-
gesetznovelle nach den Anträgen des Ausschusses mit 148 gegen 1
Stimme.
9. März. (Elsaß-Lothringen.) Ein Hirtenbrief des Bi-
schofs von Straßburg ordnet zufolge einer Ermächtigung des Papstes
vom 12. Januar l. J. das in den deutschen Diöcesen übliche Kirchen-
gebet für den Kaiser und das kaiserliche Haus auch für seine Diö-
cese an. Der Bischof von Metz thut dasselbe, aber nicht in seinem
Hirtenbriefe, sondern durch ein vertrauliches Handschreiben an die
Pfarrer.
10. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Debatte über
die Münzfrage gelegentlich der Denkschrift der Regierung über
die Ausführung der Münzgesetzgebung. Schatzamtssecretär Scholz
erklärt sich gegenüber dem bevorstehenden internationalen Münz-
congreß in Paris (s. Frankreich) und zwar in directem Auftrage des
Reichskanzlers einstweilen für Aufrechthaltung des status quo, da
nach seiner Ansicht in dieser Frage vorerst noch ein non liquet vor-
liege; die Sistirung der Silberverkäufe habe keine bimetallistische
Tendenz.