Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 22.) 107
Hänels; der Antrag wird schließlich mit 183 gegen 45 Stimmen
angenommen.
Die Debatte über Altona knüpft an die Anmerkung zu jenem
Titel, lautend: „Die Aenderungen, welche in Folge des beabsichtigten Ein-
schlusses der Stadt Altona in die Zolllinie eintreten werden, sind in dieser
und den folgenden Berechnungen unberücksichtigt gelassen, da eine genauere
Veranschlagung derselben zur Zeit unthunlich ist. auch der Tag des Zoll-
anschlusses noch nicht feststeht.“ Diese Anmerkung war der Budget-Com-
mission zur Prüfung überwiesen worden, weil zwischen den Erklärungen des
Referenten v. Benda und des Schatzsecretärs Scholz über die Frage, ob
der Reichstag die durch den Zollanschluß Altona's entstehenden Mehrkosten
zu bewilligen habe, sich ein Widerspruch ergeben hatte. Die Budget-Com-
mission beantragt nunmehr folgende Resolution: „Der Reichstag wolle bei
Bewilligung der Anlage zum Titel 1 beschließen, zu erklären: Die zur
etwaigen Durchführung des Zollanschlusses von Altona erforderlichen Kosten
bedürfen, so weit sie nicht von den betheiligten Einzelstaaten zu decken sind,
der Genehmigung des Reichstages.“ v. Kardorff (freiconserv.) beantragt
gegen diese Resolution eine motivirte Tagesordnung. Schatzsecretär Scholz
bekämpft den Antrag in äußerst sophistischer Weise damit, daß die kaiser-
lichen Hauptzollämter in Lübeck, Bremen und Hamburg. wohl „kaiserliche"
genannt würden, aber es in Wahrheit nicht seien, sondern Aemter mehrerer
Einzelstaaten, nämlich aller Einzelstaaten, die im Zollverein verbündet sind.
Delbrück setzt diesen Sophismen eine ruhige und klare verfassungsrechtliche
Darlegung entgegen. Hänel (Fortschr.) ergänzt diese juristische Deduction
durch eine thatsächliche Enthüllung aus den (nicht gedruckten) Protocollen
des Bundesraths: „Das Oberappellgericht in Lübeck hatte in der Steuer-
angelegenheit eines Zollbeamteten in Bremen ein Urtheil gefällt, das davon
ausging, derselbe werde nicht aus einer Reichscasse, sondern aus Landes-
cassen bezahlt. Der Bundesrath sah sich in Folge dessen veranlaßt, eine
derartige Entscheidung, die allen seinen bisherigen Anschauungen und Voraus-
sehungen widersprach, den beiden vereinigten Ausschüssen, nämlich für das
Zoll= und Steuerwesen und dem Ausschuß für das Justizwesen, zu über-
weisen. Diese vereinigten Ausschüsse haben nun alle jene Punkte, die hier
bisher überhaupt in der Debatte zur Erörterung gekommen sind, untersucht
und im Sinn unserer Resolution entschieden. (Hört! Hört!) Auf Grund
dieses Gutachtens hat dann der Bundesrath beschlossen am 30. September
1876, Protocoll §. 238, zu erklären, daß der Gehalt der bei den kaiserlichen
Hauptzollämtern in Hamburg, Bremen und Lübeck angestellten Beamten
nicht aus Landescassen, sondern aus Reichscassen (hört! hört!) bezogen wor-
den.“ Die Wirkung dieser Enthüllung ist entscheidend: v. Kardorff zieht
seinen Antrag zurück und die ganze freiconservative Partei stimmt mit der
Linken des Hauses für den Antrag der Budgetcommission; selbst von den
Deutsch-Conservativen stimmen einige mit der Mehrheit und enthalten sich
andere wenigstens der Abstimmung.
22. März. (Deutsches Reich.) Der Kaiser feiert seinen
85sten Geburtstag in Folge der Ermordung des Kaisers von Ruß-
land dießmal nur in der Stille. Unter den zahlreichen Glückwunsch-
Telegrammen ist auch ein solches des neuen Kaisers Alexander III.
Der Kronprinz reist an demselben Tage zum Leichenbegängniß nach
St. Petersburg.
Bei Empfang des russischen Telegramms soll der Kaiser seiner Freude