Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

110 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 28—29.) 
sagen möchte, und auf die Rede, die wir soeben gehört haben, in derselben 
ausführlichen Weise zu erwidern. Ich werde mir vielleicht einige Worte 
nachher sparen, wenn ich gleich auf einen Punkt antworte, mit dem der 
Herck Vorredner schloß, nämlich den, wie ich mir dächte, daß der Staat den 
Gemeinden in ihren Armenlasten und sonstigen Lasten zu Hilfe komme. Er 
hat darüber ein Zerrbild hingestellt von einem Finanzminister, der beliebig 
den Sack über die Armenpflege in den Gemeinden ausschütte, und ich will 
nur mit einem Wort dem Gedanken eine andere Richtung geben. Mir 
schwebt als Ziel vor, den Gemeinden einen großen Theil ihrer Armenlasten 
dadurch abzunehmen, daß mit staatlicher Unterstützung eine Alters- und 
Invalidenversorgungsanstalt im ganzen Reich eingerichtet wird, wie jetzt die 
Unfallversicherung. und daß dies nicht ohne staatliche und Reichszuschüsse 
thunlich sein wird, daß die Ziele, wenn man sie erreicht, die man damit 
verfolgt aber dieser Zuschüsse werth sein werden. Man kann darüber strei- 
ten, der Vorredner selbst hat daran erinnert, daß ich gesagt habe, die Ziele, 
die  ich mir stelle, haben vielleicht ein Menschenalter nöthig, um zu entschei- 
den, ob sie überhaupt erreicht werden sollen oder ob sie verworfen werden; 
aber der Weg muß eben einmal betreten werden, und nun glaube ich, daß 
die Gemeinden, und besonders die mit Armen vorzugsweise belasteten, eine 
erhebliche Erleichterung dadurch empfinden würden, auch die Kreise unter 
Umständen, wenn die Armenlast auch im Lande richtiger auf größere Ver- 
bände vertheilt wird wie bisher, daß sie eine erhebliche Erleichterung ohne 
directen baaren Zuschuß dadurch haben werden, wenn ihnen alle diejenigen 
auf natürlichem Wege durch Invalidität oder Alter unterstützungsbedürftig 
werdenden durch eine vom Staat zu errichtende Versicherungsanstalt abge- 
nommen werden. Ich meine, dadurch ist die Sache, die der Herr Abgeord- 
nete durch scherzschafte Bilder ad absurdum führen wollte, wieder auf ein 
ernstes Gebiet gebracht. Den Gemeinden die Schullasten abzunehmen, ist 
leichter; nach meinem Erachten soll die Schule, wenigstens der Elementar 
unterricht, Staatsanstalt sein. Meine Absicht ist keineswegs, in die Selbst- 
verwaltung der Gemeinden einzugreifen, und der Herr Abgeordnete hat eine 
Behauptung ausgesprochen, die mit allen Thatsachen im Widerspruch steht, 
wenn er sagt, daß meine Trennung vom Grafen zu Eulenburg meine Ab- 
neigung gegen die communale Verwaltung, gegen die Selbstverwaltung zum 
Grunde hätte. Ich bin nur mit meinem früheren Collegen verschiedener 
Ansicht über die Ausdehnung, das Maß und die Form derselben; aber die 
Discussion hierüber gehört nicht hierher. Wenn der Herr Abgeordnete von 
der Omnipotenz des Staats gesprochen hat, so erwidere ich ihm mit der- 
selben Uebertreibung, die darin liegt, ich widerstrebe meinerseits einer De- 
composition des Staatsverbandes in communale Republiken, ich erstrebe eine 
Staatsautorität, die über denselben schwebt und nicht nach Majoritäten be- 
schließende Organe, die keine Verantwortlichkeit mehr leisten, und von denen 
niemand mehr weiß, wer im einzelnen die Schuld und die Verantwortung 
trägt. — Bei dem Wort „Anonymität" erlaube ich mir zu der Frage zurück= 
zukehren, mit der ich ursprünglich meine Erklärung beginnen wollte. Der 
Herr Abgeordnele hat im Anfang seiner Rede Zweifel darüber ausgesprochen, 
von wem die  Denkschrift“ herrühren könnte, und er hat dann im Laufe 
seiner Rede wohl die Zweifel selbst als gelöst angesehen. Sie konnten 
meines Erachtens  gar nicht existiren, wenn hier ganz offen gesagt ist, daß 
ich im Namen Seiner Majestät des Kaisers Entwürfe überreiche und zu- 
gleich eine Denkschrift anschließe. Es ist damit ja offen ausgesprochen, daß 
diese Denkschrift die Stelle vertrilt, die früher in einem Geschäftsgang, den 
ich generell zu beseitigen bestrebt gewesen bin, die mehr oder weniger lange, 
obschon selten zweistundenlange, Rede ersetzte, die der verantwortliche Mi-
	        
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