Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deutsche Reich uud seine einzelnen Glieder. (März 28- 29.) 111 
nister, der einen Gesetzentwurf einzubringen hatte, bei dessen Einbringung zu 
halten pflegte. Ich hätte Ihnen ja alles dieses mündlich eben so gut sagen 
können, wenn ich die Sache mündlich vorgelegt hätte. Ich übernehme die 
Verantwortlichkeit für den vollen Inhalt der Denkschrift. Ich habe sie vor- 
gelegt ebenso wie das Ganze im Namen Seiner Majestät des Kaisers, was 
also ausdrückt, daß hier entweder, wenn Sie wollen, eine kanzlerische Aeuße- 
rung vorliegt, die von Seiner Mgjestät dem Kaiser und König von Preußen 
gutgeheißen ist und dadurch einen gewissen Vorsprung vor anderen hat, oder 
daß eine kaiserliche Meinungsäußerung vorliegt, für welche der Kanzler ver- 
fassungsmäßig die Verantwortlichkeit übernimmt, wie Sie sich das consti- 
tutionell zurechtlegen wollen. Der Reichstag, und noch mehr die ganze 
Nation, hat ein Recht darauf, zu wissen, wo die Regierung mit ihren Be- 
strebungen eigentlich hin will, und der Fehler, daß man das nicht wisse, ist 
uns ja oft genug vorgeworfen worden. Ich habe deshalb geglaubt, es 
würde mit großem Dank aufgenommen werden, daß, soweit die Reichsver- 
fassung es erlaubt, ich den Versuch gemacht habe, hier die Intentionen eines 
der wichtigsten Factoren der Reichsregierung — ich will mit Worten nicht 
rechten — oder des Reichsverfassungslebens offen klar zu legen; ich habe 
aber leider bisher wenig Dank für dieses Entgegenkommen geerntet, wie ich 
ja immer erfahren habe, daß, wenn etwas lange gewünscht ist und man er- 
füllt den Wunsch, dann erhält man den neuen Vorwurf, über die Art, wie 
man sich ausgesprochen hat, man gibt neues Material für die Kritik ohne 
Gegenvorschlag. Indessen, wenn man so lange wie ich daran gewöhnt ist, 
jedes positive Material für die Gesetzgebung selbst bringen zu müssen und 
auf der anderen Seite nur der Kritik zu begegnen, so faßt man sich auch 
darüber leicht. Ich glaube also, daß die Bevölkerung, namentlich die Wähler 
bei der nächsten Wahl, der wir entgegengehen, ein Recht darauf haben, zu 
wissen, wo die Regierung hinaus will. Der Bundesrath ist nicht in der 
Lage, über Zukunftsprogramme zu beschließen, man kann über die nicht ab- 
stimmen in einer Majoritätsversammlung. Ich glaube aber mit der Mehr- 
zahl der Bundesregierungen einig zu sein oder mich in diesem Sinne einigen 
zu können; ich bin gewiß, mit meinen preußischen Collegen in der Richtung 
einig zu sein, und vor allen  Dingen bin ich gewiß, daß ich den Intentionen 
meines Herrn des Kaisers und Königs von Preußen entspreche, wenn ich 
diese Vorlage mache, und ich will die allerhöchsten Wünsche und Bestrebungen 
nicht weiter in die constitutionelle Discussion einführen als genügt. um mich 
zu legitimiren, wenn ich einen gewissen Accent auf diese Dinge lege. — 
Der Kaiser und König von Preußen verfügt im Bundesrath über 17 Stim- 
men, er hat eine wesentliche Initiative und einen nicht unerheblichen Ein- 
fluß im deutschen Reich und auf seine Bundesgenossen. Es ist also dieses 
noch nicht die sichere Meinung der Zukunftsbeschlüsse des Bundesraths, aber 
doch die sichere und feststehende Ansicht desjenigen der verschiedenen dabei 
mitwirkenden Factoren, den man als den gewichtigsten an sich ohne Ver- 
letzung der übrigen betrachten kann. — Wir werden für dieses Programm 
einstehen, so weit wir können. Es wird durch die Beschlüsse des Bundes- 
raths ausgeprägt, vielleicht modificirt werden; es kann durch die Beschlüsse 
des Reichstags, — in seinen Haupttheilen wird es ja den jetzigen  Reichstag 
nicht mehr beschäftigen, — des künftigen Reichstags wesentlich geändert, es 
kann verworfen werden, es kann an den zweiten, dritten Reichstag kommen, 
die Discussion über diese Fragen wird sobald nicht von der Tagesordnung 
verschwinden, und wenn sie schließlich zu keinem Resultate führen sollte, so 
kann ich mich damit trösten: in magnis voluisse sat est. — Wir nehmen 
die Initiative, die ich fest entschlossen bin, so weit durchzuführen, wie meine 
Kräfte und amtlichen Attributionen dazu reichen. — Der Plan ist ja in 
  
 
	        
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