Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 28—29.) 113
tüchtigen Schluck Branntwein, wie der Arbeiter ihn nimmt, wenn er dieselbe
Leistung hundertfach in einem Tage macht, nicht verachten. Dort hilft das
bayerische Bier nicht, das Bier macht im Gegentheil träge, anstatt die Nerven
anzureizen; es hat außerdem den Fehler, vom nationalökonomischen Stand--
punkt: es ist ein Zeittödter, es wird bei uns Deutschen mit wenig so viel
Zeit todtgeschlagen wie mit dem Biertrinken. Wer beim Frühschoppen sitzt
oder beim Abendschoppen und gar noch dazu raucht und Zeitungen liest,
hält sich voll ausreichend beschäftigt und geht mit gutem Gewissen nach
Haus, in dem Bewußtsein, das Seinige geleistet zu haben. —. Branntwein
hat in keiner Weise diese Wirkung, und lassen Sie den arbeitenden Mann
wählen zwischen Wein, Bier und Branntwein, so wird er den Wein von
Haus aus zurückschieben, er ist an dieses Getränk hier zu Lande nicht ge-
wöhnt. Das Bier, wenn es nicht zu bitter ist, namentlich das etwas
moussirende, dünne, durstlöschende, wie es unter verschiedenen Namen geht,
wird bei körperlicher Arbeit mit großer Dankbarkeit angenommen und ge-
trunken werden. Das angebliche bayerische Bier aber macht ihn müde,
schwer, namentlich in der Gestalt, in der es fast überall da zu Tage kommt,
wo die Surrogate nicht, wie in der ausgezeichneten bayerischen Gesetzgebung,
absolut und bei Strafe verboten sind. Wen ich so viel für den Brannt-
wein anführe, so bin ich doch vollständig bereit, beide Gegenstände steuerlich
fester in Angriff zu nehmen, und viel fester als bisher. Aber ob das beim
Branntwein gerade in Gestalt einer höheren Breunsteuer oder Maisch-
steuer geschehen soll, das weiß ich nicht. Die hohen Einnahmen aus den
Getränkesteuern in Frankreich, die noch auffallender sein würden, wenn der
Herr Vorredner specificirt hätte, wie viel davon auf Branntwein kommt
— ich weiß im Augenblick nicht, 180 oder 280 Millionen Franken, es ist
aber ungefähr eine dieser beiden Ziffern, was bloß der Branntwein an
indirecten Steuern in Frankreich einbringt, und dabei zahlt er nicht einen
Groschen Brennsteuer, sondern das alles wird durch eine Steuer erreicht, die
erst, nachdem das Fabricat fertig ist, von ihm erhoben wird, hauptsächlich
in ähnlicher Art, wie in Amerika der Tabak besteuert wird, so daß das
Product von dem Augenblick seines Entstehens bis zur Consumtion von der
Steuerbehörde nicht aus dem Auge verloren wird — es ist das eine unbe-
queme Sache, aber sehr ergiebig. Der Herr Vorredner hat also sehr unrecht,
die Regierung anzuklagen, daß sie den Branntwein etwa verschonen wollte,
er hat auch, glaube ich, sehr unrecht gehabt, durch das Organ seiner Rede
hier die Meinung verbreiten zu wollen, als ginge die Tendenz der Gesetz
gebung dahin, den armen Mann zu belasten und den reichen zu entlasten.
Er hat auch — ich will keinen harten Ausdruck gebrauchen die irrthüm-
liche Angabe gemacht, als würde die Branntwein und Erbschaftssteuer von
der Regierung absichtlich nicht in Angriff genommen. Nun erinnere ich
daran, daß wir die Branntweinsteuer in Form der Lizenzabgabe an den
Bundesrath zu bringen versucht haben, daß wir dort aber auf Widerstand
gestoßen sind und auf den Wunsch, es lieber in Form der Landesgesetzgebung
als Gewerbeabgabe zu thun. Das Bedürfniß der Uebereinstimmung mit den
verbündeten Regierungen hat uns diesen Ausweg annehmen lassen. Wir
haben demnächst die entsprechende Steuervorlage in den preußischen Landtag
gebracht, von dem ja sehr viele Herren hier sitzen Sie werden also wissen,
welches Schicksal dieser Vorlage geworden ist. Ich kann mich im Augen-
blick nicht besinnen, ist sie todt gelagert worden, ist sie in dem Ausschußkeller
begraben oder ist sie abgelehnt worden, jedenfalls aber kam nichts dabei
heraus. Ich führe das nur an zum Beweis, wie ungerecht die Behauptung
ist, als wenn wir uns fürchteten, den Branntwein anzufassen, wie ungerecht
die Deduction ist, als ob wir dieses Getränk des armen Mannes höher zu
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XXII. Vd. 8