120 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 28.- 29.)
das Korn nicht wohlfeiler war —; ich glaube auch nicht, daß der Bäcker
reicher wird, sondern es sind mehr Bäcker geworden, es sind mehr Metzger
geworden, daran liegt es, es sind mehr geworden, die leben wollen von dem,
was sie erheben zischen dem Producenten, dem Zwischenhändler und dem
Consumenten. Ueberall, wo die Steuer eine solche Lücke leer läßt, wenn sie
aufgehoben wird, da tritt nicht immer nothwendig das Sinken der Preise
ein, sondern der geschäftliche Zwischenhandel, der ein bequemes Leben führt,
füllt die Spalte sofort und nimmt das Ueberschießende für seinen Verdienst
schneller in Anspruch, als der Consument überhaupt darauf kommt, daß es
eigentlich hätte wohlfeiler werden sollen. — Ich bin darauf gefaßt, daß die
üblichen Ausfälle auf die Zölle sich oft noch wiederholen werden, und ich
muß deßhalb die üblichen Einwände dagegen, die wir nur aus Erfahrungen
sammeln können, machen, wie auch der Herr Vorredner, was mich freute
und überraschte, sagte, daß die Wissenschaft hierbei vollständig im Stich läßt.
Es handelt sich nicht um exacte Wissenschaft, sondern um Behandlung von
Organisationen, um lebendige Körperschaften. deren Wesen ebensowenig von
den Menschen secirt und ergründet worden ist, wie das des einzelnen mensch-
lichen Körpers von den gelehrtesten Aerzten; soweit das Auge hinreicht, so-
weit die Chirurgie thätig ist, haben wir ganz außerordentliche Leistungen,
in der Behandlung innerer Krankheiten aber sind zu unserem und der Aerzte
Bedauern die Fortschritte der Wissenschaft seit der Zeit, die uns die Ge-
schichte zugänglich gemacht hat, nur gering gewesen, und deswegen sind auch
die Aerzte mir die liebsten, die Erfahrung haben und zu Rathe ziehen, wenn
Sie wollen Empiriker, wenn man sie beleidigen will, wenn man sie
braucht, erfahrene alte Herren; und so ist es auch in der Politik, in der
Nationalökonomie, in der Statistit die Wissenschaft ist da mitunter auf
einem sehr hohen Pferde, aber sie sieht den Boden nicht, auf dem sie reitet,
und erkennt ihn nicht. — weiß nicht, ob ich die sehr reichhaltige Samm-
lung von Einwänden, die der Herr Vorredner machte, erschöpft habe, aber
ich glaube es beinahe. Die Preise der Gegenstände, von denen wir eine
Vermehrung der Eimahmen künftig erwarten — wo ich also mit dem Vor-
redner über Tabak und Getränke vollständig einig bin, hängen von der
Steuer allein nicht ab. Ich schrecke auch nicht vor Einnahmequellen zurück,
wie sie sich in Amerika aus den Zöllen in überraschendem Maße entwickelt
haben. Ohne leidenschaftlicher Schutzzöllner zu sein, bin ich doch ein leiden-
schaftlicher Finanzzöllner wegen der Ueberzeugung, daß die Finanzzölle, die
Grenzzölle, fast ausschließlich vom Ausland getragen werden, namentlich für
Fabrikate, und daß sie immer eine nützliche schutzzöllnerische Rückwirkung
haben und bei der Entwicklung unseres Tarifs bin ich fest entschlossen, jeder
Modification des Tarifs nach der anderen freihändlerischen Seite hin zu
widerstreben, und nach der Seite des größeren Schutzes, einer höheren Re-
venue vom Grenzzoll hilfreich zur Seite zu stehen, soweit mein Einfluß
reicht. — Sie sehen, daß ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mache
und den Muth meiner Meinung habe, was ebenso unpopulär ist wie das
Tabakmonopol. Aber vor allen Dingen glaube ich mich dabei auf dem rich-
tigen Wege zu befinden, um für die Regierung und für die verbündeten
Regierungen und deren Gesetzgebung, wie es meine Pflicht ist, die Zufrieden-
heit des besteuerten Volks zu erstreben. Ich finde es ja natürlich, daß die
Forderung dieser Zufriedenheit von den Gegnern der Regierung nach Mög-
lichkeit verhinderl und bekämpft wird; ich kann mich aber dadurch nicht
aufhalten lassen und werde unbeirrt den Weg gehen, der durch das Pro-
gramm der Denkschrift, Hür welches ich die Verantwortlichkeit übernehme,
gekennzeichnet ist. Ich werde für möglichste Verbreitung und Kenntniß-
nahme und Ausarbeitung dieses Programms nach allen Richtungen in der