122 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 28.)
damit für Jedermann verständlich und klar wird, wie wir denken.“ Seiner-
seits ist der Kanzler entschlossen, den Plan, der in ihm und zwar nicht erst
seit gestern gereift ist, nicht fallen zu lassen, auch wenn er zunächst wenig
oder nichts sollte durchsetzen können. „Mir schweben überhaupt so gewalt-
thätige Entschließungen, als ob nächsten Dienstag alles anders sein sollte,
durchaus vicht. vor. Das Programm, welches ich habe, ist ja nichts Neues,
es ist 5 oder 6 Jahre, seitdem ich für dasselbe öffentlich aufgetreten bin,
alt, und Sie können daraus sehen, was es mit der Allmacht, die man mir
in ministeriellen Dingen zuschreibt, auf sich hat. Fünf Jahre habe ich ge-
kämpft, habe mitunter die Anerkennung im Princip bekommen, aber ange-
brachter Maßen ist nachher die Sache, die man überhaupt nicht wollte, ab-
gelehnt worden und in irgend einer Weise zu Fall gekommen.“ Von dem
gegenwärtigen Reichstag erwartet der Reichskanzler freilich und zwar nicht
ohne Grund nicht viel, aber von der Verfolgung feines Planes läßt er sich
dadurch nicht hindern. „Wir werden — erklärt er — für dieses Programm
einstehen, so weit wir können. Es wird durch die Beschlüsse des Bundes-
raths vielleicht ausgeprägt modificirt. es kann durch die Beschlüsse des
Reichstags — in seinen Haupttheilen wird er ja den jetzigen Reichstag nicht
mehr beschäftigen — des künftigen Reichstags wesentlich modificirt, es kann
entworfen werden, es kann einen neuen Kampf geben, es kann an den
zweiten, dritten Reichstag kommen, die Discussion über diese Dinge
wird sobald nicht von der Tagesordnung verschwinden, und wenn sie schließlich
nicht zu einem Resultat führt, so kann ich mich damit trösten, in magnis
voluisse sat est. Aber wir behalten vorerst die Initiative und ich bin fest
entschlossen, sie soweit durchzuführen, als meine Kräfte und amtlichen Attri-
butionen dazu reichen.“ Daß der Reichskanzler von diesem Reichstage für
Heine weitumfassenden und tiefgreifenden Pläne wenig zu erwarten hat, zeigt
Debatte, in der sich keine einzige Partei für dieselben, unbedingt nicht
einmal die deutsch- conservative, erklärt, so wie die Abstimmung, die keinen
Zweifel darüber läßt, daß schon von den drei vorliegenden Steuern, deren
Ertrag doch gegen die Steuererfordernisse des Gesammtplanes nur eine
Kleinigkeit wäre, nichts als eine Börsensteuer übrig bleiben wird, deren
Ertrag nur ein sehr bescheidener bleiben wird.
28. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Commission für
den Gesetzentwurf bez. Abänderung der Verfassung und Einführung
zweijähriger Etats: lehnt die Vorlage und alle dazu gestellten An-
träge ab mit einziger Ausnahme eines Antrags Bennigsen, dem
Art. 13 der Verfassung beizufügen, daß der Reichstag jeweilig im
October einberufen werde.
28. März. (Preußen.) Das Domcapitel der Diöcese Trier
wählt den Domcapitular de Lorenzi zum Capitelverweser. Die Re-
gierung versagt jedoch dieser Wahl auf den Antrag des Regierungs-
präsidenten von Trier, v. Wolff, ihre Bestätigung.
Der Gewählte bietet der Regierung nach ihrer Ueberzeugung und
seinem ganzen Vorleben offenbar keinerlei Garantie für die Möglichkeit eines
friedlichen modus vivendi Die ganze Sachlage ist eine noch vielfach unklare
und beschäftigt darum aufs lebhafteste so ziemlich die gesammte öffentliche
Meinung und Presse. So viel steht fest, daß sowohl der Staat als die
römische Curie augenblicklich geneigt sind, den bisherigen offenen sogenannten
Culturkampf durch einen vorläufigen modus vivendi zu ersetzen und zu