XVI
Allgemeine Chronik.
18. Mai. [Oesterreich-Ungern: Oesterreich.] Reichsrath: Lienbacher und die
Clericalen bringen einen neuen Antrag auf Herabsetzung der Schul-
pflichtdauer von 8 auf 6 Jahre ein.
19. ,, [Deutsches Reich.] Reichstag: genehmigt das neue Innungsgesetz,
jedoch ohne die auf halbe Zwangsinnungen abzielenden Bestimmungen,
die indeß in namentlicher Abstimmung nur mit 132 gegen 127
Stimmen verworfen werden.
,, ,, [Oesterreich-Ungarn: Oesterreich.] Reichsrath: erledigt das Budget
und das Finanzgesetz in 3. Lesung. Die gesammte Verfassungspartei
stimmt dagegen als Mißtrauensvotum gegen die Regierung.
21. ,, [Deutsches Reich: Bayern.] Schluß des Landtags. Die patriotische
(ultram.) Partei richtet über ihr Verhalten einen Rechenschaftsbericht
an die Wähler, der sehr wenig tröstlich lauten kann, da sie trotz
ihrer Mehrheit eigentlich gar nichts erreicht hat.
23. ,, [Deutsches Reich u. Oesterreich-Ungarn.] Die Handelsvertragsunter-
handlungen in Berlin sind endgiltig gescheitert. Der abgeschlossene
Vertrag ist auf einen bloßen Meistbegünstigungsvertrag zusammen
geschrumpft mit einigen Erleichterungen für den Grenzverkehr. Die
Schuld wird dem deutschen Reichslanzler zugeschrieben, der Gewinn
fällt den österreichischen Schutzzöllnern zu, die für die Errichtung
eines erklecklichen Schutzzollsystems freie Hand haben.
,, ,, [Deutsches Reich.] Der Reichskanzler äußert sich dahin, daß das
Unfallgesetz ohne Staatszuschuß (Staatssozialismus) für ihn unan-
nehmbar sei und daß er den Zollanschluß Hamburgs durchsetzen
werde, möge der Reichstag reden und beschließen, was er wolle.
,, ,, [Oesterreich-Ungarn: Oesterreich] Reichsrath: genehmigt mit 156
gegen 149 Stimmen die herabsetzung der Schulpflichtdauer von 8
auf 6 Jahre nach dem Antrag der Clericalen.
25. Mai. [Deutsches Reich.] Abschluß eines Vertrags mit Hamburg, nach
welchem dasselbe in das Zollgebiet eintritt, aber einen Freihafenbezirk
für die Schiffahrt und für die auf Export arbeitenden industriellen
Großbetriebe behält. Das Reich trägt die Hälfte der Kosten der er-
forderlichen Umgestaltungen bis auf den Betrag von 40 Mill. Mark.
Der Zollanschluß erfolgt am 1. October 1888. Der Freihafenbezirk
kann ohne Zustimmung Hamburgs weder aufgehoben noch ein-
geschränkt werden. Die Zollfreiheit der Unterelbe für Schiffe von
und nach Hamburg wird zugesichert, aber nur auf unbestimmte Zeit
und nicht vertragsmäßig.
,, ,, [Deutsches Reich.] Reichstag: E. Nichter bringt die neuesten
Druckmaßregeln des Reichskanzlers gegen Hamburg doch zur Sprache.
Der Bundesrath protestirt und verläßt demonstrativ den Saal.
Schließlich wird ein Antrag Windthorst's mit großer Mehrheit gegen
die Conservativen angenommen, der den Reichskanzler ersucht, vor
dem endgültigen Ergebniß der mit Hamburg schwebenden Verhand-
lungen keine Veränderung des bestehenden Zustandes eintreten zu
lassen.
,, ,, [Frankreich.] Gambetta's Triumphzug nach seiner Vaterstadt Cahors.
Er erklärt sich gegen eine Reform des Senats.
28. ,, [Deutsches Reich.] Reichstag: Berathung der Stempelsteuervorlage:
die Quittungssteuer wird einstimmig, die Besteuerung der Chefs etc.
mit Mehrheit abgelehnt und nur die Börsensteuer und die Besteuerung
der Lotterielose angenommen.