134 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 1 4.)
wird, Das bestreite ich nicht, nur nicht um dieses volle Drittheil, welches
dem Staat zugemuthet wird, sondern nur um den Unterschied zwischen Dem,
was die bisherige Lokalarmenpflege für verunglückte Arbeiter zu leisten hat,
und Demjenigen, was ihm in Zukunft zukommen soll, was also rein eine
Verbesserung der Lage und des Looses des Arbeiters sein wird. Nur diese
Differenz können Sie als Neuleistung dem Staate anrechnen, und es fragt
sich da, ist diese Differenz des damit erstrebten Zieles werth, daß der Arbeiter
eine würdigere und reichlichere Verpflegung hat, wenn er verunglückt ist,
und nicht vor Gericht erst sein Recht zu erkämpfen, sondern von Haufe aus
den mäßigen Zuschuß hat, der dabei vom Staate gesordert. wird, ist der
gleichwerthig mit dem Vortheile, der erreicht wird? Ich glaube Dieß im
allerhöchsten Maße bejahen zu können. Vor dem Verhungern ist der invalide
Arbeiter durch unsere heutige Armengesetzgebung geschützt. Nach dem Land-
rechte wenigstens soll Niemand verhungern; ob es nicht dennoch geschieht,
weiß ich nicht. Das genügt aber nicht, um den Mann mit Zufriedenheit
auf sein Alter und seine Zukunft blicken zu lassen, und es liegt in diesem
Gesetze auch die Tendenz, das Gefühl menschlicher Würde, welches auch der
ärmste Deutsche meinem Willen nach behalten soll, wach zu erhalten, daß er
nicht rechtlos als reiner Almosenempfänger dasteht, sondern daß er ein Pe-
kulium an sich trägt, über das Niemand außer ihm verfügen kann, und das
ihm auch nicht entfremdet werden kann, über das er als Armer selbständig
verfügen kann, und das ihm manche Thür leichter öffnet, die ihm sonst ver-
schlossen wird, und ihm in dem Hause, in dem er Aufnahme gefunden hat,
eine bessere Behandlung sichert, wenn er den Zuschuß, den er mit hinein-
bringt, aus dem Hause auch wieder entfernen kann. Wer den Armenver
hältnissen in großen Städten selbstprüfend nähergetreten ist, wer auf dem
Lande namentlich den Gemeindearmen nachgespürt hat und selbst auf den
bestverpflegten, guten Gemeinden hat beobachten können, wie ein Armer,
namentlich wenn er körperlich schwach und verkrüppelt ist, unter Umständen
behandelt wird im Hause von Stiefmüttern, von Verwandten irgend einer
Art, von sehr nahen Verwandten mitunter, Der muß eingestehen, daß jeder
gesunde Arbeiter, der Dieß mit ansieht, sich sagt: es ist doch fürchterlich,
daß ein Meusch auf diese Weise durch die Behandlung in dem Hause, was
er früher bewohnte, herunterkommt, wo der Hund seines Nachfolgers es
nicht schlimmer hat. Das kommt vor. Melche Waffe hat ein schwacher
Krüppel dagegen, wenn er in die Ecke gestoßen und hungrig ernährt wird?
Er hat gar keine. Hat er aber auch nur 100 oder 200 ℳ für sich, so be-
sinnt sich das Haus schon sehr, bevor es ihn drückt. Wir haben es bei den
Kriegsinvaliden sehen können, wenn nur 6 oder 5 Thaler monatlich gegeben
werden, Das ist für einen Armenhaushalt auf dem Lande schon etwas
Baares, wo die kleinrechnende Frau sich sehr besinnt, daß sie den Kostgänger,
der Geld einbringt, nicht verdrießlich macht und los wird. Also sage ich,
wir haben das Bedürfniß, in diesem Gesetze auf eine menschenwürdige Be-
handlung zunächst dieser Sorte von Armen zu wirken, und ich werde Herrn
Richter in den weiteren Konsequenzen im nächsten Jahre — mag dieses Ge
setz abgelehnt werden oder nicht — vollständig befriedigen in Bezug auf die
Masse und Ausdehnung der staatlichen Fürsorge für eine bessere und wür-
digere Behandlung der Erwerblosen. Aber zunächst ist dieses Gesetz gewisser-
maßen eine Probe, die wir machen, und auch eine Sonde, wie tief das
Wasser finanziell ist. in das wir Staat und Land vorschlagen, hineinzutreten.
Man kann gegen diese Dinge sich nicht in der Weise decken, daß man eine
geläufige, glatte Rede hält, in der man die Ausbildung des Haftpflicht-
gesetzes empfiehlt, ohne nur mit einer Silbe anzudeuten, wie man sich diese
Ausbildung denkt. Damit kann man die Sache nicht erledigen, damit spielt