Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

158 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 29—30.) 
Vorliebe gegen die Person, die sie bewohnt, beurtheilt wird. Es wäre, wenn 
ich beispielsweise mein Haus elwas anders bewohnte, als jetzt die Ein- 
theilung ist, eine Kleinigkeit, mir das ganze Haus für meinen Privatgebrauch 
anzurechnen. Das sachkundige Urtheil eines Castellans, von dem die Herren, 
wie ich höre, dabei geleitet worden sind, wird unmöglich dafür maßgebend 
sein konnen, was zu den Amtslocalien des Ministers, was zu den Repräsen- 
tationsräumen und was zu seinem persönlichen Gebrauch gehört. Wenn Sie 
dafür keine weitere Autorität auführen können, als die eines Subaltern- 
beamten, so muß ich die doch sehr in Zweifel ziehen; es ist das eine Frage, 
die über seinen Horizont hinausgeht. Meines Erachtens ist es für die Ab- 
schätzung einer Dienstwohnung ganz gleichgültig. wie groß dieselbe ist, wie 
theuer sie vermiethet werden könnte. Das bauliche Object der Wohnung ist 
gar nicht das, was einzuschätzen ist; was einzuschätzzen ist, ist das Recht frei 
zu wohnen, für den Mann, und dieses  Recht, frei zu wohnen, kann nur 
danach beurtheilt werden, welche Wohnung und zu welchem Werthe der 
Beamte sie wahrscheinlich nehmen würde, wenn er freie Wahl hätte. Dazu 
gibt, so lange Sie nicht auf ein Privatvermögen für staatliche Leistungen 
recurriren wollen, allein der Gehalt der Beamten den einzigen sicheren An- 
haltspunct. Es ist gesagt worden, gewöhnlich verwendeten Leute 20 Proc. 
ihres Einkommens für ihre Wohnung; ich habe deßhalb auch früher schon 
gesagt: setzen wir den Miethswerth der Dienstwohnungen auf 20 oder 15 Proc. 
des Diensteinkommens, darauf kommt es nicht an, wenn wir nur das ver- 
nünftige Princip an die Stelle des unvernünftigen setzen; das vernünftige, 
welches das Recht, frei zu wohnen, nach Maßgabe des Gehalts und der mit 
dem Gehalt durchschnittlich verbundenen Lebenshaltung ohne Rücksicht auf 
Privatvermögen in Rechnung bringt. In Folge dessen finde ich die An- 
träge der Commission durchaus billig und verständig und würde mich meiner- 
seits gar nicht gewundert haben, wenn sie noch höher gegangen wäre. Aber 
beispielsweise mein Haus könnte, wenn ich es anders bewohnte und wenn 
der Castellan anderer Meinung wäre in Bezug auf die Eintheilung (Heiter- 
keit), sehr leicht auf dieselbe Höhe gebracht werden, wie das benachbarte 
Haus des Fürsten Pleß, welches bekanntlich auf (5,000 ℳ Miethswerth 
eingeschätzt ist, obwohl es in ganz Berlin keinen Menschen gibt, der so 
thöricht ist, die Annehmlichkeit hier zu wohnen, mit 65,000 ℳ zu bezahlen. 
Eine solche Miethe zahlt kein Mensch in Berlin. Möglicherweise könnte sich 
jemand ein eigenes Haus bauen, was so viel werth wäre, wenn es eine 
augenblicklich wohnungslose fremde Botschaft gäbe, die ein Haus haben muß, 
dann könnte man recht gut einen solchen Contract augenblicklich machen. 
Diese Botschaften ohne Unterkommen sind aber leider nicht so häufig, wie 
es für die Hausbesitzer zu wünschen wäre Es wäre also eine Kleinigkeit, 
und ich würde das auch nach den geltenden Principien gar nicht so über- 
raschend finden, — wenn die Dienstwohnung des Reichskanzlers, sowie sie 
einmal ist, ebenso hoch, vielleicht noch höher taxirt würde. Denn es ist ja 
auch ein großes Gartengrundstück dabei, was das Pleß'sche Haus nicht hat, 
und die Annehmlichkeit, im Garten zu spazieren mitten in Berlin, ist eine 
sehr große, die auch ihren Miethswerth hat: wenn man gegen Eintritts- 
karten das Recht vermiethen wollte, ich glaube, es würde das ganz erhebliche 
Revenüen geben. Also es ist noch eine außerordentliche Nachsicht, daß die 
Berliner Stadtbehörden die Wohnung des Reichskanzlers nur zu 20,000 
oder 21,000 ℳ oder, wie mir durch einen Schreibfehler mit der Unterschrift 
„Hagen", was ich gegen Herrn Richter anführe, zuerst mitgetheilt worden 
war,  23,000 ℳ eingeschätzt haben. Sie hätten sie ebenso gut auf das Drei- 
fache einschätzen können und ich würde rechtlich auch nichts dagegen machen 
können. Aber ich komme darauf zurück: es ist ganz einerlei, ob sie weniger