Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 24.) 191
eventueller Bindung sie bereit sein würde, hier mitgetheilt; dasselbe enthielt
jedoch nur wenige Artikel von größerer Bedeutung. Bei den hier stattge=
habten commissarischen Verhandlungen ist es zwar gelungen, über die Auf=
nahme einer Reihe weiterer Positionen des österreichisch=ungarischen Tarifs
in den Conventionaltarif sich zu verständigen; indessen blieb die Bindung
zahlreicher und für den Export Deutschlands nach Oesterreich=Ungarn wich=
tiger Positionen des autonomen österreichisch=ungarischen Zolltarifs, z. B.
Mehl. Hopfen, wollene Waaren, Waaren aus Kautschuk und Guttapercha
mit einer Ausnahme, Hohlglas, Fenster= und Tafelglas, Porzellan ,c, ab=
gelehnt. Auf der anderen Seite würde die Festlegung von Sätzen des
deutschen Zolltarifs in dem von österreichisch=ungarischer Seite beanspruchten
Umfange die autonome Aenderung unserer gebundenen Sätze für die Ver=
tragsdauer ausgeschlossen und damit Deutschland eine Fessel auferlegt haben,
für welche die vorerwähnten tarifarischen Zugeständnisse kaum genügendes
Aequivalent geboten hätten. Die kaiserliche Regierung kann aber in dem
Mangel einer Verständigung über Vertragstarife kein Moment erblicken, das
den Werth der übrigen, eine befriedigende Regelung der commerziellen Be=
ziehungen zwischen beiden Gebieten begründenden Vereinbarung wesentlich
verringerte."
Noch mehr als die Schutzzöllner in Deutschland sind diejenigen Oester=
reichs über diesen Ausgang der langen Verhandlungen hoch erfreut. „Fürst
Bismarck — ruft das Organ der österreichischen Schutzzöllner aus — hat
das Verdienst, welches wir ihm nicht hoch genug anrechnen können, daß er
den Abschluß eines österreichisch=deutschen Tarifvertrages verhinderte. Die
Weigerung Deutschlands, uns Erleichterungen für den Mehlexport zu ge=
währen, die Erhöhung des deutschen Mehlzolles, sowie die nicht verheimlichte
Absicht der deutschen Regierung, in nächster Zeit auch die Vieh= und Holz=
zölle zu erhöhen, haben Das bewirkt, wozu man österreichischer Seits An=
fangs nicht den Muth hatte.“ Jetzt liegen die Dinge allerdings anders,
wofern Ungarn und Oesterreich sich verständigen können, was freilich nicht
so leicht sein wird, da ihre Interessen auseinandergehen, Ungarn in erster
Linie einen Mehlzoll, Oesterreich Industriezölle verlangt, Industriezölle aber
von Ungarn, wie der Mehlzoll von Oesterreich perhorrescirt werden. Um
beide zu einem Ausgleich zu bringen, ist indeß schon für die nächsten Wochen
eine österreichisch=ungarische Zollconferenz in Aussicht genommen. (S. Oester-
reich=Ungarn.)
Gleichzeitig wird auch mit der Schweiz ein Meistbegünstigungs=
vertrag auf 5 Jahre in Berlin unterzeichnet.
24. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: weist das Credit=
begehren der Regierung im Betrage von 85,000 M behufs Erweite=
rung des preußischen Volkswirthschaftsrathes zu einem deutschen an
eine Commission von 14 Mitgliedern. Die dem Beschluß voran=
gehende Debatte läßt inzwischen nicht verkennen, daß die Mehrheit
des Reichstags einer solchen Schöpfung sehr wenig geneigt ist, da
ihr Zweck trotz aller schönen Darlegungen der Regierungsvertreter
offenbar nicht sowohl dahin geht, die Regierung aufzuklären, als
vielmehr dahin, derselben in volkswirthschaftlichen Fragen eine Art
parlamentarischer Stütze auch gegen das wirkliche Parlament, den
Reichstag, in den betreffenden Interessenkreisen zu gewähren.