Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

192 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 25.) 
25 — 27. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: überweist 
den Antrag Barnbüler und sämmtliche übrigen Anträge betr. Revision 
des Unterstützungswohnsitz=Gesetzes dem Reichskanzler zur Erwägung. 
Die Anträge sind sehr mannigfaltig. Neben Barnbüler, der das 
Heimathrecht wesentlich wieder herstellen will, beantragt Graf Udo Stol= 
berg, daß der Unterstützungswohnsitz durch einjährigen Aufenthalt nach 
vollendetem 21. Lebensjahr erworben und durch zweijährige Abwesenheil ver= 
loren werde. Gerwig will, daß zur Erwerbung des Unterstützungswohn- 
sitzes ein dreijähriger Aufenthalt, zum Verlust eine fünfjährige Abwesenheit 
erforderlich sei. Kiefer beamragt. den Reichskanzler um statistische Nach= 
weise über die Wirkung des Gesetzes  betr. den Unterstützungswohnsitz zu er= 
suchen. Streit beantragt eine Bestimmung über die Altersgrenze für den 
Erwerb des Unterstützungswohnsitzes in das Gesetz aufzunehmen, und als jene 
Grenze das sechzigste Lebensjahr zu bestimmen, sowie den Verlust des Unter= 
stützungswohnsitzes bei sechsjähriger Abwesenheit eintreten zu lassen. 
Berathung des Antrags Richter gegen die neuesten Maßregeln 
des Reichskanzlers und des Bundesraths, um Hamburg zum Zoll= 
anschluß zu zwingen. Der Bundesrath protestirt gegen den Antrag 
Richter und seine Mitglieder verlassen demonstrativ den Saal. 
Richter begründet seinen Antrag. Schließlich wird ein Antrag 
Windthorst's mit großer Mehrheit gegen die Conservativen ange= 
nommen, der den Reichskanzler ersucht, vor dem endgültigen Er= 
gebniß der mit Hamburg schwebenden Verhandlungen keine Ver= 
änderung des bestehenden Zustandes eintreten zu lassen. 
Der von dem Staatssecretär v. Bötticher verlesene Protest des 
Bundesraths lautet: „Der Antrag Richter=Karsten geht von der Unter= 
stellung aus, daß der Bundesrath unter Hintansetzung des geltenden Ver= 
fassungerechtes Beschlüsse fassen könnte, welche den Zweck verfolgen, die Rechte 
einzelner Bundesstaaten zu verletzen. Im Auftrage der verbündeten Re= 
gierungen weise ich diese Unterstellung zurück und lege hiemit Verwahrung 
ein gegen den Versuch, die freie Entschließung des Bundesraths durch ein 
solches Vorgehen zu beeinflussen. Der Bundesrath ist sich seiner verfassungs= 
mößigen Zuständigkeiten und seiner Pflicht voll bewußt und hält es mit der 
Würde der verbündeten Regierungen, welche er zu vertreten hat, nicht für 
vereinbar, sich an der Verhandlung eines Antrages wie der Richter= Karsten`sche  
ist, zu betheiligen.“ 
Beginn der 2. Lesung des Stempelsteuer=Gesetzentwurfs. Der 
Bundesrath tritt wieder in den Saal und wird mit ironischem Bei= 
fall begrüßt. 
25. Mai. (Deutsches Reich — Hamburg.) Die Unter= 
handlungen über den Zollanschluß Hamburgs haben zu einem Re= 
sultate geführt: ein Vertrag darüber wird zwischen den Hamburgi= 
schen Bevollmächtigten und denen des Reichskanzlers in Berlin 
unterzeichnet. Der Senat von Hamburg begleitet die Veröffent= 
lichung des Vertrags mit einem Antrag zur Genehmigung an die
	        
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