Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

196 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 25.) 
die Einverleibung der Hansestädte in dasselbe nur eine Frage der Zeit sein 
könne. In der That, wenn man die verschiedenen Phasen im Zusammen= 
hang überblickt, welche diese Angelegenheit seit den Berathungen über die 
Reichsverfassung von 1849 und über die Bundesverfassung von 1867 bis 
auf die neuesten parlamentarischen Verhandlungen durchlaufen hat, so wird 
man sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß die Freihafen= 
stellung der Hansestädte in ihrer jetzigen Form einer nachhaltigen, auf der 
Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit und inneren Berechtigung beruhenden 
Unterstützung außerhalb der Städte selbst in Deutschland von jeher nicht be= 
gegnet ist, und daß sie auch jetzt auf eine solche nicht zu rechnen hat. Auch 
der in der jüngsten Zeit von hiesigen Patrioten mit Geschick und Ausdauer 
unternommene Versuch, auf dem Weg einer zusammenhängenden Darstellung 
unsere deutschen Mitbürger davon zu überzeugen, daß die jetzige Freihafen= 
stellung der Städte in der That einem nationalen Bedürfniß entspreche, hat 
nicht den gehofften Erfolg gehabt. Die Hoffnung, die Freihäfen in ihrer 
gegenwärtigen Gestalt jemals als eine organische Einrichtung des Deutschen 
Reiches geschätzt zu sehen, würde hienach eine vergebliche sein; vielmehr 
dürfen wir uns der Einsicht nicht verschließen, daß die öffentliche Meinung 
in Deutschland den Eintritt der Hansestädte in die deutsche Wirthschafts= 
gemeinschaft als eine Nothwendigkeit ansieht, und daß das zu einem mäch= 
tigen Reiche geeinigte Deutschland am wenigsten darauf verzichtet haben 
würde, diese Auffassung früher oder später zur Geltung zu bringen. Bei 
dieser Sachlage mußte schon die erste im Frühjahr 1879 an den Senat ge= 
langte Anfrage der Reichsregierung, ob sie in absehbarer Frist auf den im 
Art. 34 der Verfassung vorgesehenen Antrag der Hansestädte werde rechnen 
können, den Senat veranlassen, wiewohl unter gleichzeitiger ausführlicher 
Darlegung seines Standpunctes, zu einer gemeinschaftlichen Untersuchung der 
Frage sich bereit zu erklären. Die Reichsregierung scheint die Hoffnung 
nicht getheilt zu haben, daß dieser Weg auf die eine oder andere Weise zu 
einer Verständigung führen werde, sie beantragte vielmehr im Frühjahr 1880 
die Einverleibung der zum Freihafengebiet gehörenden Stadt Altona und 
der Unterelbe in das Zollgebiet. Schon damals machte das Gefühl von der 
Nothwendigkeit einer Verständigung sich hier in weiteren Kreisen geltend, 
und die Ansicht, daß irgendeine Einigung gefunden werden müsse, trat mehr= 
fach hervor. Unter anderem ersuchte die Handelskammer den Senat Anfangs 
Juli v. J. um commissarische Verhandlungen, auf welche der Senat bereit= 
willig einging. Es entwickelte sich daraus eine gemeinsame Untersuchung 
zum Zweck der Klarstellung der für jede Entscheidung erforderlichen Grund= 
lagen, deren Resultale bei den der vorliegenden Vereinbarung vorhergegan= 
genen Verhandlungen schätzenswerthe Dienste zur Information der dieß= 
seitigen Bevollmächtigten geleistet haben. Namentlich wurde auch die Frage 
der Beschränkung des jetzigen Freihafengebiets auf einen ungleich engeren 
Bezirk in den Kreis der Erörterung gezogen. Schien doch schon damals die 
Idee des verkleinerten Freihafens, wenn auch über die Art und Weise 
der Realisierung begreiflicherweise mehr oder weniger unklare Vorstellungen im 
Umlaufe waren, nach einer verbreiteten, später auch in öffentlichen Mani= 
festationen wiederholt zum Ausdruck gekommenen Ansicht dazu bestimmt, die 
brennende Frage zu lösen. Während in Hamburg allgemeines Einverständniß 
darüber herrschte, daß es auf alle Fälle erforderlich sei, ein Gebiet zu er= 
halten, auf welchem Schiffahrt, Warenhandel und Exportindustrie sich nach 
wie vor frei bewegen könnten, lag bis dahin nicht die geringste Bürgschaft 
für die Geneigtheit der Reichsregierung vor, daß sie bei etwa einzuleitenden 
Verhandlungen sich gleichfalls auf diesen Standpunct stellen würde Eine 
Gewißheit wurde in dieser Beziehung erst gewonnen in Folge einer Reihe
	        
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