Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 30.) 203
lichste immer von Neuem hervorbrechen, wenn große wirthschaftliche Inter=
essen zugleich als politische Parteien sich bekämpften. Die Steigerung der
eigenen Einnahmen des Reichs und die ausreichende Befriedigung seiner
finanziellen Bedürfnisse gehört zu dem alten Programm der Partei. Sie
ist einer entsprechenden Vermehrung der indirecten Reichssteuern zu
diesem Zwecke nicht entgegengetreten. Gegen das Project des Tabakmono-=
pols hat sie aus wirthschaftlichen wie aus politischen Gründen entschieden
Widerspruch erhoben. Vor dem Eingehen auf weitere umfassende Pläne,
welche die Steuerkraft des Landes in höherem Maße in Anspruch nehmen,
muß zunächst das volle und nachhaltige Ergebniß der vom Reichstag im
Jahre 1879 bewilligten Zölle und Verbrauchssteuern abgewartet werden.
In Preußen wird die Partei bei einer Reform der directen Steuern
mitwirken, welche die Entlastung der weniger bemittelten Classen von einem
Theile der ihnen auferlegten directen Steuern herbeizuführen bestimmt ist.
Einer Zerstörung des directen Steuersystems oder einer wesenllichen Schmä=
lerung seiner Erträge zu Gunsten ungemessener Vermehrung indirecter Steuern
werden wir uns widersetzen. Für die Ueberweisung eines Theiles der Grund=
und Gebäudesteuern in Preußen an die Communen und Communalverbände
— eine alte Forderung der liberalen Partei — werden hoffentlich die im
Jahre 1879 bewilligten Reichssteuern in ihren nachhaltigen Erträgen unter
normalen wirthschaftlichen Verhältnissen einer umsichtigen Finanzverwaltung
die Mittel bieten. Gegen eine übermäßige Centralisation der Staatsgewalt
werden wir die Selbständigkeit und die Selbstverwaltung der
Gemeinden vertheidigen und weiter entwickeln. Nach schmerzlichen Er=
fahrungen und Prüfungen der Vergangenheit ist die nationalliberale Partei
aus der Ueberzeugung unseres Volkes hervorgegangen, daß eine über ganz
Deutschland ausgebreitete unabhängige, von reactionären wie radicalen Ten=
denzen gleichmäßig sich fern haltende, durch die Unterordnung individueller
Ansichten unter die großen gemeinsamen Ziele starke liberale Partei eine
Nothwendigkeit ist. Ohne eine solche Partei würde ein fortdauernder, die
Grundsäulen des Staates erschütternder Kampf zwischen extremen Rich=
tungen, an dem andere Völker kranken und nicht zur Ruhe kommen können,
unserem Vaterlande nicht erspart bleiben. An dieser Ueberzeugung hält die
nationalliberale Partei auch in der heutigen Zeit unerschütterlich fest, wo
wirthschaftliche Sorgen wie politische Enttäuschung und Verbitterung das
ruhige Urtheil zu verwirren und die Bevölkerung in großer Zahl dem
politischen Leben zu entfremden oder extremen Richtungen nach rechts oder
lints zuzutreiben drohen. Für Deutschland ist nach wie vor eine Partei
nothwendig, welche die weitere Entwicklung unseres Vaterlandes auf den
mühsam erkämpften Grundlagen in entschieden freiheitlichem, aber zugleich
maßvollem und die realen Verhältnisse beachtendem Sinne erstrebt. Wir
halten fest an der Zuversicht, daß diese Auffassung bei unserem Volke in
Stadt und Land noch in weitestem Umfange volle Zustimmung findet.
Unabhängig, in sich geeinigt, frei von Ermüdung wie von Verbitterung, zu
ernster Arbeit entschlossen, wird die nationalliberale Partei auch unter ge=
steigerten Schwierigkeiten ferner ihre politische Pflicht erfüllen. Parteien,
welche gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen, werden uns zur Verständigung
und zu gemeinsamem Wirken bereit finden."
30. Mai. (Deutsches Reich.) Mit Belgien wird ein Ueber-
einkommen wegen Verlängerung des Handelsvertrags von 1865 in
Berlin unterzeichnet. Damit sind sämmtliche Handelsverträge, über
welche in der letzten Zeit unterhandelt ward, erledigt.