210 Pos deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 15.)
Jucidenzpuncte dar. Zunächst waren der 3. Lesung. Unterhandlungen über
einen Compromißantrag des Abg. Stumm (Freicons.) und der Deutsch-
conservativen vorausgegangen und darüber zwischen den Abg. Stumm und
v. Helldorf-Bibra quch mit dem Staatssecretär Bötlicher Besprechungen ge-
pflogen worden. Das Compromiß war jedoch an der Ablehnung der Cen-
trumsfraction gescheitert, welcher Beschluß indeß erst nach heftigen Debatten
zu Stande kam. Die Ablehnung erfolgte vornehmlich deßhalb, weil das
Centrum in dem Compromißvorschlage Betreifs der Umwandlung der 14tä-
gigen Carenzzeit in eine vierwöchentliche, der Lohnbegrenzung des zu ver-
sichernden Arbeiters auf 1500 statt 2000 4, der alleinigen Beitragspflicht
des Arbeitgebers ein Zurückweichen gegen die in zweiter Lesung gefaßten Be-
schlüsse erblickte; insbesondere sprach man sich aber gegen das Compromiß
aus, weil man in dem Antrage, wonach die Bundesstaaten aus ihren Cassen
die Verwallungskoslen entrichten sollten, einen Uebergang zum Staatszuschuß
erblickte. Da nun auf diese Art die Deutschconservativen isolirt waren und
nur einige Mitglieder der Reichspartei als Bundesgenossen hatten, wurde
von den Conservativen der nationalliberalen Fraclion ein Compromiß au-
geboten, welches jedoch von der letzteren zurückgewiesen wurde. Die Teutsch-
conservativen sehen sich nun veranlaßt, den Compromißantrag als selbstän-
digen Antrag einzubringen. — Man war ferner auf die Erklärung der
Reichsregierung sehr gespannt. Staatssecrelär v. Bötticher gibt sie in
folgender Weise ab: „Ich wünsche Ihnen in kurzen Worlen das Resultat der
Prüfung mitzutheilen, welches innerhalb der Neichsregierung bezüglich der
Beschlüsse der zweiten Lefung gewonnen ist, und ich bedaure, daß ich meine
Erklärung heute nicht als eine solche abgeben kann. zu welcher ich antorisirt
wäre durch einen Beschluß des Bundesraths. Die Zeit zwischen der zweiten
und dritten Lesung ist nicht hinreichend gewesen, um von Seiten der sämmt-
lichen Regierungen Instructionen eingehen zu lassen, und ich kann also heute
nur für die Reichsregierung sprechen, werde aber dabei rücksichtlich des einen
Punctes, den ich in meine Betrachtungen hineinzuziehen habe, allerdings die
Vermuthung aussprechen, daß auch die Bundesregierungen sich aus den Sland-
punct stellen, welchen die Reichsregierung einnimmt. Zuvor möchte ich gegen-
über einer NAeußerung. des Abg. Lasker auf die Motive des Gefebentwurfs
hinweisen. Der Abg. Lasker hat — und das ist ja auch von Hrn. v. Hell-
dorff beleuchtet worden —- dem Hru. Neichskanzler vorgeworfen, daß er mit
großem Gerönsch seine Pläne in Bezug auf die wirthschaftliche Gesehgebung
verkündet habe und da schließlich die kleine Maus dieser Vorlage das Re-
sultat gewesen sei. Wenn Sie einen Blick auf Seite 18 der Motive werfen,
so werden Sie unmöglich behaupten können, daß dieser Anfang einer wirth-
schafllichen Geietzgebung mit großem Geränsch eingeführt worden. sei. Es
heißt dort: „Allerdings können mit einer einzelnen Maßregel, wie sie gegen-
wärlig vorgeichlagen wird, die Schwierigkeiten, welche die soziale Frage
bietet, nicht gänzlich oder ouch nur zu einem erheblichen Theil gehoben wer-
den, es handelt sich vielmehr nur um den ersten Schritt auf einem Gebiet,
auf welchem eine jahrelang fortzusetzende schwierige Arbeit mit Vorsicht und
allmählich zu bewältigen sein, und die Lösung einer Aufgabe wieder neue
Aufgaben erzeugen wird.“ Ich glaube kaum, daß man mit größerer Be-
scheidenheit und mit geringerem Geräusch die Pläne, welche man verfolgt,
kennzeichnen kann. Der Abg. Lasker hat weiter den Vorwurf erhoben, daß
die Vorlage gemacht sei ohne eine genügende Vorbereitung. Ich habe be-
reitwillig schon in meinen früheren Erklärungen zugestanden. daß wir ge-
wünscht hätten, Ihnen ein ausreichenderes slatistisches Material und aus-
reichende materielle Unterlagen für unsere Vorschläge bieten zu können. Ich
würde sehr dankbar gewesen sein, wenn aus der Mitte des Haufes eine An-