Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 14.) 247 
mangelt. werden aufs Ungefähr hin in die Massen geworfen, um sie für die 
Opfer, die verlangt!? werden, zu gewinnen. Niemals hat das Streben nach 
Ubjolutzuus die Demagogie als Bundesgenossin verschmäht. Angesichts 
solcher Gefahren, die unsere Zukunft bedrohen, erhebt die deutsche Bolks- 
partei, gestützt auf ihr Programm, das die Wohlfahrt Aller auf dem Boden 
der Freiheit und des gleichen Rechts zum Ziele hat, abermals ihre Stimme. 
Sie wirbt bei Allen, denen Liebe zum Rechtsstaat innewohnt, bei Allen, die 
dem bundesstaatlich geeinten Vaterlande den Frieden, dem Volke das Recht 
der Gelbstbestimmung erhalten wollen. Nicht schwinden sollen die Partei- 
gegensätze, aber in der Stunde des Kampfes mögen sie überall da zurück- 
treten, wo es gilt, der Reaction gemeinsam entgegen zuwirken. Was bedroht 
ist, find nicht die Vestrebungen dieser und jener Partei, sondern es ist das 
allen Freunden des Fortschritts und des Rechts Gemeinsame, es ##nd die 
Grundlagen unseres politischen und socialen Lebens, zugleich die Grund= 
bedingungen gedeihlicher Entwicklung.“ — Dem Aufruf ist folgendes Wahl- 
programm beigegeben: „Die deutsche Bolkspartei, gestützt auf ihr Programm 
vom 12. Oktober 1873, verlangt von den Reichstagsabgeordneten, die sie 
wählt oder unterstütt, daß sie während der nächsten Legislaturperiode ein- 
treten: I. Für Aufrechthaltung aller verfassungsmäßig garantirten Rechte des 
Volkes und der Volksvertretung, für Ausbildung der Verfassung in wahrhaft 
freiheitlichem und föderativem Sinne und im Geiste der deutschen Grund- 
rechte, für Gewährung von Diäten an die Reichskagsabgeordneten; gegen jede 
Verkümmerung des allgemeinen Stimmrechts, gegen Verlängerung der Budget- 
und Legislaturperioden, gegen Vermehrung der Rechle des Bundesralhes und 
des Reichskanzlers und gegen jede Vergewaltigung der Einzelstaaten. II. Für 
die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Schrift; gegen jede Ab- 
änderung der Straf-, Preß= oder Vereinsgesehgebung in freiheitsfeindlicher 
Richtung, sowie gegen d Ausnahmegesetze und Mahregeln zum Nachtheil 
einzelner Parteien, Confessionen oder Bevölkerungsklassen. III. Für die 
Herabminderung der öffentlichen Lasten und für Eriparnisse, insbesondere 
beim Militäretat, für die Herabsetzung der Präfenzzeit und ehrliche Durch= 
führung der allgemeinen Wehrpflicht, für die Herabsetzung der Gerichtskosten, 
für die Aufrechlerhaltung der Civilstandsgeseygebung und für die Oeffentlich- 
keit des Militägerichtsverfahrens. IV. Für die Aushebung aller Zölle und 
Stenern auf nothwendige Lebens= und Genußmittel; gegen das System der 
indirecten Besteuerung, gegen das Tabaksmonopol und überhaupt egen jede 
stärlere Belastung des Volkes. V. Für eine stetige und gerechte, das Volks- 
wohl und nicht nur Einzelinteressen fördernde Zollpolitik; für die vertrags- 
mäßige Regelung der internationalen Handels. Arbeits= und Rechtsverhälknisse, 
für die Reform der Aktiengesetzgebung, für die Verbesserung der Genossen- 
schaftsgesetzgebung, jedoch gegen jede Unterstellung der Genossenschaften unter 
Staatsaussicht; für gleichmäßige und wohlfeile Frachttarife. VI. Für eine 
gesunde Sozialpolitik zum Wohle der armen und arbeitenden Elassen unter 
den nöthigen wirthschaftlichen, Isreihelulichen und verfassungsmäßigen Bürg- 
schaften, für obligatorische Unfallversicherung der Arbeiter durch den Unter- 
nehmer, für Verbesserung der Geiehe über Frauen= und Kinderarbeit; gegen 
die Beschränkung der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, gegen die Verkürzung 
des Coalitionsrechts, überhaupt gegen jede Art von wirthschaftlicher Reaction.“ 
14. September. (Deutsches Reich.) Trotz aller Anstrengung 
scheint die conservative Partei in Berlin noch wenig Terrain ge- 
wonnen zu haben. In einem der Berliner Bezirke findet eine Stadt- 
verordnetenwahl statt, welche alle conservativen Organe als sehr 
 
	        
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